22. November 2010

Kann der Schäßburger Bergfriedhof als Kulturdenkmal bewahrt werden?

Im Mai dieses Jahres wurde in Schäßburg eine „Vereinbarung“ betreffend die Schäßburger Friedhöfe zwischen der Schäßburger evangelischen Kirchengemeinde (vertreten durch das Presbyterium) und der Heimatortsgemeinschaft (HOG) Schäßburg unterzeichnet. Die HOG war vertreten durch ihren Vorsitzenden und den Koordinator eines Gremiums, das in Zusammenarbeit mit dem Presbyterium Modalitäten und Grundsätze zu Betreuung, Wartung und Pflege der Friedhöfe erarbeitet und den Wortlaut der „Vereinbarung“ aufgesetzt hatte.
Das Zusammenwirken zwischen der HOG und den in Schäßburg noch existierenden Einrichtungen der Siebenbürger Sachsen, wie beispielsweise den Nachbarschaften und der Kirchengemeinde, hat Tradition. Sie ergibt sich in manchen Zusammenhängen auch immer wieder als Conditio sine qua non. Die HOG fühlt sich, wie es in der „Vereinbarung“ heißt, „der Heimatstadt Schäßburg verpflichtet“ und „arbeitet auch mit dem Presbyterium der Kirchengemeinde Schäßburg bzw. mit der Friedhofsverwaltung seit Jahren eng zusammen. Gemeinsam fühlen wir uns den Schäßburger Friedhöfen – deren Pflege und Erhaltung als Ruhestätte unserer Väter und Mütter – verpflichtet.“ Die in der Vereinbarung festgelegten Punkte und Beschlüsse sind Ausdruck dieses gemeinsamen Handelns und sind als Fortsetzung, Vertiefung und Erweiterung der traditionellen Zusammenarbeit zu verstehen.

Mit Dankbarkeit und Zufriedenheit reagieren viele Schäßburger darauf, dass sich gerade auch Stadtpfarrer Bruno Fröhlich und der vormalige Stadtpfarrer Dr. August Schuller, bis vor kurzem Vorsitzender der HOG, für diese Belange einsetzen, ebenso auch die Schäßburger Nachbarschaften, die Mitglieder des Presbyteriums und andere Schäßburger Persönlichkeiten.

Die Vereinbarung stellt eine Art Regelwerk, Verpflichtungserklärung, Projekt und Aktionsplan dar und umreißt alle Aspekte im Zusammenhang mit dem Ziel, die Friedhöfe und speziell den Bergfriedhof sowohl in ihrer jetzigen bzw. tradierten Gestalt als auch als weiterhin konfessionell genutzte Friedhöfe zu erhalten. Hören wir doch von vielen Seiten, die angestammten, historisch gewachsenen und determinierten Friedhöfe der Siebenbürger Sachsen, voran auch wieder der Schäßburger Bergfriedhof, seien von „herausragender kulturhistorischer Bedeutung“ und besonderem „Dokumentationswert“, sie seien „Kulturdenkmäler“, „historische Dokumente“, „Geschichtsbücher“, „geschichtliche Zeugnisse und Gedächtnis eines vergangenen Gemeinwesens“, „sichtbare Spuren der einstigen Bewohner“, „in Stein gehauene Lebensspuren“, „Zeugnisse des Lebens und Glaubens unserer Vorfahren“, „Kostbarkeiten für die Familienforschung“, „konfessionelle und sakrale Denkzeichen“, „steingewordene Trauerarbeit“, zum Teil auch „architektonische und landschaftsgestalterische Kleinode“. Betont und beklagt wird, dass diese „historischen Friedhöfe“ „bedrohte Denkmäler“ sind, dass sie sich zu verändern beginnen, dass neue und verfremdende, zum Teil angeberisch-prahlerische oder auch recht geschmacklose Grab- und Steingestaltungen auftauchen, oder auch, dass Verfall, Verwitterung, Verwahrlosung und Vernachlässigung um sich greifen. Sind das Folgen eines leider auch zu beobachtenden zunehmenden Mangels an Beachtung und Aufmerksamkeit, einer Indifferenz, Uninteressiertheit und Passivität der ausgewanderten Schäßburger, speziell der Grabbesitzer, Nachkommen der Toten? Hängt es am Fehlen der Mittel? Steht es im Zusammenhang damit, dass die Friedhöfe nicht so unmittelbar und eindrucksvoll wirken wie etwa Kirchenburgen, Kirchen, Schlösser oder städtische Architektur?

So wie wir uns um Schutz, Erhalt, Konservierung, Sanierung, Sicherung und Fortbestand von Siebenbürgens sakralen und profanen Bauwerken, Kirchenburgen, Burgen, Gebäuden, Kunstwerken, Schrifttum, Musikalien, Liederschatz, zahlreichen wertvollen Orgeln, handwerklichen und kunsthandwerklichen Zeugnissen bemühen, so wären jetzt auch die Friedhöfe einzubeziehen. Für den Schäßburger Bergfriedhof besteht ein Anreiz, die Aufmerksamkeit auf ihn zu richten dadurch, dass er Teil des von der UNESCO als Weltkulturerbe ausgewiesenen Stadtgebiets von Altschäßburg ist. Wenn man jedoch an das geschichtliche und moralische Gewissen appellieren will, muss man anmerken, dass eine Pflege und Konservierung dieses Friedhofs nicht oder nicht nur der UNESCO zuliebe stattfinden kann. Rechtfertigungsgründe und Argumente, um Desinteresse, Nichtbeachtung und Nachlässigkeiten zu entschuldigen, gibt es. Dazu im Folgenden einige Beispiele.
Der Bergfriedhof im Winterkleid. ...
Der Bergfriedhof im Winterkleid.
Hilfe von außen solle, so heißt es gelegentlich, vorrangig den Menschen zugute kommen: „Menschen vor Mauern“. Man denkt dabei vielleicht nicht daran, dass jedes bedrohte Zeugnis des Lebens und Schaffens einer Gesellschaft mit Menschen zu tun hat, vor allem mit der seelischen Situation und Befindlichkeit von Menschen.

Oder: Wir sind ausgewandert, haben freiwillig und aus eigenem Entschluss unsere Heimat verlassen, also müssen wir in Kauf nehmen und sollten nicht darüber klagen, dass das, was wir zurückließen, vergeht oder in andere Hände kommt und andere Formen annimmt. Auch hier wird vielleicht übersehen, dass die Siebenbürger Sachsen nicht so eben mal aus Lust und Laune weggezogen sind. Die meisten Siebenbürger wissen: Sie wurden hinausgeekelt, der Boden wurde ihnen unter den Füßen weggezogen: eine Variante der Vertreibung. Anfängliche Entrechtung und Deportation, dann entschädigungslose Enteignung, also Raub von Grund, Boden und Produktionsmitteln, Zwangsevakuierungen aus Städten, Häusern und Wohnungen, Ausweisung aus Schulen, Institutionen, Vereinigungen, sozialen und kulturellen Einrichtungen, Zerstörung gewachsener sozialer und kultureller Strukturen und Lebensformen, schließlich fortdauernde gravierende Einschränkungen der persönlichen und kollektiven Freiheit und Selbständigkeit, ideologisch begründete Bevormundung in allen individuellen und gesellschaftlichen Bereichen, vielfältige Restriktionen in Sprache, Brauchtum und Tradition, politischer Druck, Denkzwang und Willenslenkung, Repressionen, Zensur, Einschüchterungen und Schikanen, Überwachung und Bespitzelung, Erniedrigungen, Drangsalierungen, Verfolgungen, perfider Terror und Gewalt, politisch und ethnisch motivierte Verhaftungen und Einkerkerungen, existentielle Bedrohungen, permanente Angst und erzwungenes Doppelleben, Identitätsraub, Ceaușescus Nationalismus und teuflischer Plan der architektonischen „Umgestaltung“ von Dörfern und Städten, Verarmung, ethnische Diskriminierung, Überfremdung und Unterwanderung, zunehmend forcierter Assimilierungsdruck: Das alles – belegt und nachweisbar an zahllosen Beispielen – bedeutete aufgezwungene geistige, gesellschaftliche, soziale und geographische Entwurzelung und „Entheimatung“ (Herta Müller) und führte zum „leidvollen Rückwanderungszwang“ (Walter Myß). So entsteht und bleibt heute der Dienst und die Verantwortung dem Zurückgelassenen, den Vorfahren und den Toten gegenüber. Und so müssen auch Ruhestätten mit ihren Mälern besorgt und bewahrt werden. Nicht nur weil sie die oben genannten Qualitäten besitzen, sondern weil es ihnen gegenüber eine menschliche und moralische Pflicht gibt.

Eine weitere Argumentation bezieht sich auf die Ansicht, dass ein Friedhof nicht unverändert erhalten werden kann. Beispiele historischer Friedhöfe in Deutschland, Österreich und Europa beweisen das Gegenteil. Sie werden bewahrt, gewartet und gepflegt von Interessenvereinigungen, Gesellschaften, Vereinen, Institutionen, Gemeinden oder Privatpersonen.

Wie das in Schäßburg funktionieren soll, zeigt die in Rede stehende Vereinbarung. Sie will dafür sorgen, dass die Gesamtanlage der Friedhöfe und alle Gräber, vor allem die Grabmale, erhalten bleiben, gleichzeitig aber auch der noch „lebendige“, genutzte Bergfriedhof nicht lahmgelegt wird. Sie legt fest, dass „die Gesamtkonzeption der Anlage wie Geländegestaltung, Wegführungen und Grabgelege nicht verändert werden dürfen“. Vor allem dürfen künftig bei Besitzwechsel der Gräber durch Erbschaft, Schenkung, Verzichterklärung oder Auflassung keine Veränderungen, erst recht keine Abräumungen vorgenommen werden. Das Gleiche gilt auch für Neubestattungen im eigenen Familiengrab. „Selbst verursachte Beschädigungen müssen rückgängig gemacht, d. h. repariert werden.“ „Erneuerungen, Reparaturen und Sanierungen am Grabaufbau“ sind zwar erwünscht und werden begrüßt, bedürfen aber der „vorherigen schriftlichen Genehmigung durch das Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde Schäßburg“, die ein Gremium von Sachverständigen beruft. „Dabei ist auf historisch getreue Wiederherstellung bzw. stilvolle, historisch vertretbare und ästhetischen Anforderungen genügende Gestaltung, die sich in den Gesamtcharakter des Friedhofs einfügt, zu achten.“ Dadurch ist auch das umstrittene Problem des Verkaufs von Grabstellen gelöst. Für neue Gräber mit neuen Grabsteinen soll ein gesonderter Teil des Friedhofs („Neuer Friedhof“) ausgewiesen werden. Die Inhaber von Grabstellen – ob in oder außerhalb von Schäßburg wohnhaft –werden verpflichtet, die „Grabtaxe“ zu entrichten, und müssen auch dafür sorgen, dass die in ihrem Besitz befindlichen Grabanlagen gepflegt bzw. instand gesetzt werden.

Ein Hauptaugenmerk richtet sich auf die Erhaltung und Pflege derjenigen Gräber, die verlassen sind, die keine Besitzer mehr haben, um die sich keine Nachkommen mehr kümmern oder deren Besitzer das Grab verkommen lassen, ebenso auf die so genannten historischen Gräber, die Ehrengräber und die Soldatengräber, deren Pflege im unmittelbaren Verantwortungsbereich der Kirchengemeinde liegt.

Wie die generelle Pflege und die Betreuung aufgelassener Grabanlagen im Einzelnen vonstatten gehen sollen, wird in der Vereinbarung nur gestreift. Es werden anzuvisierende Drittmittel und die Anhebung der (ohnehin äußerst günstigen) jährlich anfallenden „Grabtaxen“ erwähnt. Für laufende und saisonale Instandhaltungsarbeiten, insbesondere für größere Instandsetzungsarbeiten und Reparaturen, die an Fachfirmen vergeben werden müssen, sind Geldmittel vonnöten. Natürlich wird in diesem Zusammenhang auch an Spenden gedacht.

Es gehen von mehreren Seiten bereits Vorschläge ein, wie manche Aufgaben bewältigt werden könnten. Als neuer Gedanke ist das private und persönliche Engagement und Arbeitsangebot entstanden. Pflegearbeiten auf Wegen und Treppen, Heckenschnitt, Ausästen, Rasenpflege, Versorgung eines Grabbeetes sind Arbeiten, die jeder durchführen kann. Eine Besuchergruppe hat sich zu diesem Zweck schon zusammengeschlossen. Überlegt wird auch, mit Hilfe der HOG ein Jugendferienlager in Schäßburg zu organisieren, wobei Pflegearbeiten dieser Art in den Tagesablauf und das Programm eingebaut werden können. Auch ist der Vorschlag gemacht worden, eine Broschüre über die Geschichte des Friedhofs in mehreren Sprachen aufzulegen, die von Besuchern und Touristen gegen eine kleine Spende erworben werden kann. Ebenso könnte auf der Bergschule und in den Nachbarschaften für Pflegeaktionen geworben werden. Wir Schäßburger (oder alle Siebenbürger?) hüben und drüben sind gehalten, jeder auf seine Art und nach seinen Möglichkeiten selbst aktive oder finanzielle Hilfe anzubieten.

Otto Rodamer, Karl Teutsch

Schlagwörter: Schäßburg, Friedhofspflege, Denkmalpflege

Bewerten:

20 Bewertungen: ++

Neueste Kommentare

  • 11.01.2011, 16:05 Uhr von slash: Als ich den Artikel zu lesen begann, baute sich peu á peu ein leicht nostalgisches Gefühl auf. Vor ... [weiter]
  • 04.01.2011, 22:01 Uhr von brady: Es geht ganz einfach, die Sachsen sollen sich wieder in die Kirche einschreiben, so viel Geld hat ... [weiter]

Artikel wurde 2 mal kommentiert.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.