14. Januar 2011

Freikauf der Rumäniendeutschen: Dr. Hüsch spricht vor Betroffenen

Familienzusammenführung und Freikauf haben ganze Generationen unserer Landsleute in Siebenbürgen und im Banat über vier Jahrzehnte beschäftigt. Viele Gerüchte, doch wenig Konkretes rankten sich um dieses Thema. Kein Wunder, denn die Verantwortlichen beider Seiten handelten unter strikter Geheimhaltung. Keine der beteiligten Regierungen konnte es sich erlauben, des Menschenhandels bezichtigt oder gar überführt zu werden.
Auf dem Programm des Seminars „Wer sind die Rumäniendeutschen?“ vom 5. bis 10. Dezember 2010 in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen haben sich gleich zwei Vorträge mit dem Freikauf auseinandergesetzt. Zunächst sprach Ernst Meinhardt von der Deutschen Welle in Berlin über die Ergebnisse seiner umfangreichen Recherchen, ehe Dr. Heinz Günther Hüsch, der langjährige Verhandlungsführer der Bundesregierung in Sachen Familienzusammenführung, zum ersten Mal öffentlich vor Betroffenen über seine mehr als zwei Jahrzehnte dauernde Tätigkeit berichtete. Bereits 2009 bekam er die Genehmigung vom damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble, darüber zu sprechen. Meinhard hatte in einem Interview mit Dr. Hüsch bereits früher Einblicke in die Ergebnisse seiner heiklen Mission gewinnen können (vgl. Siebenbürgische Zeitung, Folge 7 vom 5. Mai 2010, Seite 7). Meinhardt fand Hinweise, die die Vorstellungen Rumäniens, ein Kopfgeld im Gegenzug zur Bewilligung von Ausreisen zu fordern, bereits 1954 belegen. In den frühen 60er Jahren kümmerte sich der Stuttgarter Anwalt Dr. Ewald Garlepp in seiner Tätigkeit für die Rechtsschutzstelle der Evangelischen Kirche um Länder des Ostblocks mit dem besonderen Schwerpunkt Rumänien. Aus dieser Zeit sind in den Archiven Unterlagen zu finden, die den Freikauf im Rahmen der Familienzusammenführung mit konkreten Zahlen dokumentieren.

Während der großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger nahm die Bundesrepublik am 31. Januar 1967 diplomatische Beziehungen zu Rumänien auf. Im gleichen Jahr beauftragte die Bundesregierung Dr. Hüsch mit der Aufnahme von Verhandlungen mit Rumänien. Ihm wurde diese Aufgabe ausschließlich in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt übertragen. Dr. Hüsch, Gründer einer Kanzlei in Neuss, war Mitglied des Stadtrates und Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen und später CDU-Bundestagsabgeordneter. Er hob die Unterstützung seiner Arbeit durch die Minister Windelen, Genscher, Maihofer, Zimmermann und Schäuble besonders hervor und berichtete, dass sich Bundeskanzler Helmut Kohl persönlich einschaltete und sich regelmäßig berichten ließ. Kohl strebte eine grundsätzliche Lösung an. In seinem Auftrag hat Dr. Hüsch im Oktober 1988 als Sonderbevollmächtigter sogar mit Ceaușescu gesprochen.

Die Verhandlungen erfolgten ausschließlich auf der Basis humanitärer Erwägungen und unterlagen höchster Geheimhaltung. Sie führten von 1968 bis zur Wende 1989 zur Ausreise von ca. 210000 Personen. In dieser Zeit traf Dr. Hüsch seine rumänischen Verhandlungspartner zu 313 offiziellen und weiteren ca. 700 inoffiziellen Besprechungen. Es kam zu sechs schriftlichen Absprachen, die keinen völkerrechtlichen Charakter hatten – Dr. Hüsch sprach von „Ganovenrecht“. In Bukarest traf man sich zunächst im Hotel Ambasador, dann im Intercontinental, wo Dr. Hüsch immer das gleiche Zimmer bewohnte. An allen rumänischen Verhandlungsorten wurden die Gespräche abgehört und aufgezeichnet. Die rumänische Seite verhandelte streng nach Weisung und oft ohne Entscheidungsbefugnis. Verhandlungssprache war Englisch. Die offiziellen Verhandlungen wurden von dem einzig zugelassenen Dolmetscher übersetzt. Bezahlt wurde in bar oder mit Schecks, später auch per Überweisung, ausschließlich über die Commerzbank in Neuss. Für Barzahlungen lieferte sie registrierte Tausendmarkscheine. Die Zahlungen wurden niemals durch Quittungen bestätigt. Diese außerhalb der Legalität laufende Abwicklung machte es erforderlich, mit dem Rechnungshof spezielle Regelungen zu treffen. In welche Kanäle die üppigen Mittel geflossen sind, bleibt unbekannt. Abgesehen von besonderen Geschenken gibt es keinerlei Hinweise auf die persönliche Bereicherung durch Personen des Staatsapparates. Schmiergeldzahlungen hingegen dienten der persönlichen Bereicherung und hatten keinen Einfluss auf die Zahl der Ausreisen.

Die Bundesrepublik hat, zumindest von 1968 bis Ende 1989, für jede Person, die aus Rumänien eingereist ist, erhebliche Beträge bezahlt. Die Ergebnisse der langjährigen Verhandlungen von Dr. Hüsch dokumentieren die Absicht Rumäniens, diese lukrative Geldquelle zu immer höheren Leistungen auszubauen, auf eindrucksvolle Art und Weise. Der Gesamtbetrag der Zahlungen für den Freikauf wird auf über eine Milliarde DM geschätzt.

Dr. Hüsch war bis zum 30. Juni 1993 aktiv und hat zum Abschluss seiner Tätigkeit in einer sehr umfangreichen Dokumentation an die Bundesregierung Bericht erstattet. Er verfügt über 50 Leitz-Ordner mit detaillierten Unterlagen zu den Verhandlungen und zur finanziellen Abwicklung sowie über umfangreiche Aufzeichnungen der vielen Gespräche mit den rumänischen Verhandlungspartnern.

Daten und Fakten 1968 bis 1989

Die Verhandlungen begannen im Februar 1968 in Bukarest. Nach Erfüllung mehrerer Absprachen kam es zu ersten schriftlichen Vereinbarungen am 7. März 1969 und am 7. März 1970 in Stockholm. Diese sahen die Ausreise von 20000 Personen bis Ende 1973 in definierten jährlichen Kontingenten vor. Das Kopfgeld war je nach Qualifikation der Betroffenen in fünf Kategorien gestaffelt, von 1800 DM für die unterste Qualifikationsstufe bis zu 11000 DM für Akademiker.

Eine weitere Vereinbarung vom 3. April 1973 in Köln galt vom 1. Juli 1973 bis 30. Juni 1978. Sie sah bei unveränderten Kategorien die Ausreise von mindestens 40000 Personen vor. Zusätzlich wurde Rumänien eine Kreditlinie über 200 Millionen DM bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau eingeräumt.

Unter Kanzler Helmut Schmidt versuchte man, die Vereinbarungen mit Rumänien auf eine völkerrechtliche Ebene zu stellen, aber ohne Erfolg. Nach seinem Besuch am 6. und 7. Januar 1978 in Bukarest, an dem Dr. Hüsch nicht teilnahm, wurden die Verhandlungen aufgrund der Vereinbarung von 1973 fortgeführt.

In dem Abkommen vom 7. Oktober 1978 in Wien konnte Dr. Hüsch Mängel der bis dahin auf Ministerial- und Beraterebene geführten Verhandlungen ausräumen und eine Fortsetzung der Zusammenarbeit bis zum 30. Juni 1983 vereinbaren. Man einigte sich auf eine einheitliche Kopfpauschale von 4000 DM, als Anhebung des bis dahin gezahlten Durchschnittsbetrages von 3250 DM, und jährlich mindestens 11000 Personen. Zusätzlich wurde Rumänien ein Kredit über 800 Millionen DM zur Ausweitung der Hermes Bürgschaft eingeräumt. Dieser wurde allerdings nie in Anspruch genommen. Darüber hinaus erhielt Rumänien eine Zinssubvention über insgesamt 160 Millionen DM, die in Raten von 8 Millionen DM pro Quartal über fünf Jahre ausgezahlt wurde.

Am 21. Mai 1983 vereinbarte man in Bukarest für weitere fünf Jahre eine Pauschale von 7800 DM und zusätzlichen Reisekosten von 350 DM pro Person bei unveränderter jährlicher Kopfzahl. Auch konnte die Nichtanwendung des Dekretes 402/1982, wonach die Rückzahlung von Ausbildungskosten bei Ausreise fällig wurde, vereinbart werden.

Schließlich kam es am 8. November 1988 in Bukarest zur letzten Absprache. Vom 1. Juli 1988 bis zum 30. Juni 1993 sollten 8950 DM und zusätzliche Reisekosten über 390 DM pro Person gezahlt und das jährliche Kontingent auf 14000 angehoben werden. Am 4. Dezember 1989, wenige Tage nach Ceaușescus letztem Parteitag, kündigte Rumänien das Abkommen und erklärte, seinen humanitären Verpflichtungen auch ohne Zahlungen nachkommen zu wollen.

Dr. Lars Fabritius

Schlagwörter: Seminar, Freikauf, Bundesregierung, Politik, Rumäniendeutsche

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