22. Juli 2011

Neue Sterne am siebenbürgischen Musikhimmel: der Jugendbachchor Kronstadt unter Steffen Schlandt

Der Chorgesang gehörte in Siebenbürgen seit eh und je mit zu den am stärksten verbreiteten und entfalteten und am intensivsten gepflegten Musizierformen. Was zur Aus- und Aufführung kam, waren neben der Kirchenmusik immer sowohl das Volkslied und der volksnahe Kunstgesang als auch die komplexeren Vokalformen des polyphonen Stils, des Oratoriums und der Kantate, später auch der dramatischen Chormusik. So hat es auch jeweils verdienstvolle Chorleiter gegeben, die der Chorbewegung weitere Impulse verliehen. Seit dem 19. Jahrhundert haben sich rumänische Musiker und Musikliebhaber anregen lassen, ebenfalls Chöre aufzustellen und sich der Chormusik zuzuwenden. So in Siebenbürgen Zaharia Boiu und vor allem Gheorghe Dima (1847-1925). In Bukarest war es Hermann Kirchner (1861-1928), der nach seiner Mediascher und Hermannstädter Wirkungszeit den oratorischen Chorgesang bekannt machte.
In diesen Themenkomplex ist nach beiden Gesichtspunkten hin der junge Kronstädter Steffen Schlandt einzureihen, wobei er sich als ausgesprochener „Profi”-Chordirigent erweist, während andere vor ihm sich in ihrem Beruf und ihren Wirkungsfeldern auch als Chorleiter be- ­tätigten. Schlandts professionelles Profil ergibt sich nicht nur aus seinem Studium und seinem Hauptanliegen, der Chorleitung und -erziehung (seit 2004 leitet er den Bach-Chor der Kronstädter Hauptkirche), sondern auch aus seiner Begabung und seiner künstlerischen Disposition. Es ist ihm gelungen, mit seinem Jugendbachchor (über die Schreibweise kann man streiten) in relativ kurzer Zeit ein Chorensemble zusammenzustellen (es ist eigentlich ein Kammerchor, seinem Ursprung nach wie der große Bach-Chor ein Kirchenchor), das in die Reihe der besten siebenbürgischen Chöre und Jugendchöre zu stellen ist – eine nähere „Rangordnung” wollen wir vermeiden –, und das just zu einem Zeitpunkt auf der Bildfläche erschien, als etwa Kurt Philip­pis Kleiner Chor des Kronstädter deutschen Gym­nasiums, Kurt Martin Scheiners Kammerchor „Cantores Cibinienses” der Hermannstädter Bru­kenthalschule (1983 in Deutschland neugegründet), Hans Günter Seiwerths großer Schülerchor „Cantores juvenes” an der gleichen Schule oder die deutschen Studentenchöre in Klausenburg von der Bildfläche verschwunden waren. (Von den Chören Philippis, Scheiners und Seiwerths gibt es vorzügliche Tonaufnahmen auf Schallplat­ten.)

Während alle früheren Chöre Teil eines siebenbürgisch-sächsischen Musiklebens deutscher Sprache waren, ist Schlandt heute fast ausschließlich auf rumänische und ungarische Sängerinnen und Sänger angewiesen, da die sächsische Jugend zu über 90 % aus Siebenbürgen aus- gewandert ist und die noch bestehenden deutschen Schulen überwiegend von rumänischen Kindern und Jugendlichen, die die deutsche Spra­che lernen wollen und eine Annäherung an die deutsche Kultur anstreben, besucht werden. Einen deutschen Chor zusammen zu bekommen, ist heute kaum noch möglich. Dass die Rumänen aber ausnehmend musikalisch und sangesfreudig sind, wissen wir, und dass sie auch deutsch singen können – und zwar schön –, haben wir gehört. So ist Schlandt eine neue Brückenfunktion und Anregerrolle zugefallen.

Der Gedanke, neben den großen Bach-Chor einen kleineren Jugendchor zu stellen, geht auf den Kronstädter Kantor, Organisten, Chordirigenten und Pädagogen Victor Bickerich (1895-1964) zurück, der Ende der 1940er Jahre, nachdem die namhaften Knabenchöre in Kronstadt und Hermannstadt vom neuen rumänisch-kommunistischen Staat verboten worden waren, einen gemischten Jungen Bach-Chor gründete. Dieser jugendliche Chor hat nach Bickerichs Tod zwei Neugründungen erlebt, zuerst 1964 unter Walter Schlandt (1902-1979), dem Großvater von Steffen und Nachfolger Bickerichs, und danach, 1993, unter Eckart Schlandt (*1940), Steffens Vater, Kantor und Organist in Kronstadt.

Über den jüngsten Auftritt des Kronstädter Jugendbachchors während des diesjährigen Heimattags der Siebenbürger Sachsen im bayerischen Dinkelsbühl hat Heinz Acker in der Siebenbürgischen Zeitung Online vom 18. Juni 2011 ausführlich berichtet und die Leistung des Chors und seines Leiters mit warmen, lobenden und treffen­den Worten gewürdigt. Der Chor hat ungewöhnlich tiefen Eindruck hinterlassen. Heinz Acker hörte heimatliches Glockengeläute und vermeinte „die klare, frische Gebirgsluft der Karpaten zu atmen”, Pfarrer Hermann Schuller rief aus: „Ihr habt wie Engel gesungen”. Der Beifall des Publikums war beachtlich. Im Zusammenhang mit den Vorbereitungen für diesen Auftritt – er war vor allem der Brauch­tumsveranstaltung gewidmet „Das Burzenland in Sagen und Liedern” aus Anlass des Gedenkens an die Vergabe des Burzenlands (der Hochebene am Rand der Karpaten im Südosten Siebenbürgens) im Jahr 1211 durch den ungarischen König Andreas II. an den Deutschen Ritterorden, der diesen Landstrich, der später zum Siedlungs­gebiet der Siebenbürger Sachsen hinzukam, besiedelte – hat Steffen Schlandt ein Büchlein mit Liedern und Bildern aus dem Burzenland sowie eine CD mit Aufnahmen seines Chors herausgegeben.

Dr. Steffen Schlandt beim Heimattag 2011 in ...
Dr. Steffen Schlandt beim Heimattag 2011 in Dinkelsbühl, kurz vor der Weiterfahrt nach Gundelsheim. Foto: Konrad Klein
Schlandt hat sich das ehrgeizige und nicht leicht zu realisierende Ziel gesetzt, Lieder zu finden, in denen Bezüge zu einzelnen Orten und Dörfern des Burzenlands auszumachen sind, sei es, dass ein Lied einer bestimmten Ortschaft gewidmet ist, sei es, dass die Handlung des Textes im Burzenland spielt, sei es, dass ein Lied Heimatverbundenheit und Liebe zum Burzenländer Heimatort ausdrückt, sei es, dass Textdichter oder Komponist aus dem Burzenland stammen oder dort gelebt und gewirkt haben, sei es, dass die Herkunft eines anonymen Volkslieds auf einen Ort im Burzenland hinweist.

Dass das Ziel „aus jedem Burzenländer Dorf ein Lied” nicht ganz erreicht werden kann, liegt in der Natur der Sache. In der Volksliedforschung und den ethnologischen Wissenschaften werden so enge Grenzen auch nicht gezogen. Trotzdem ist Schlandt das Unmögliche fast gelungen. Dass im Zuge dieses wohlgemeinten Eifers auch zwei Lieder hineingeraten sind, die zwar wie in ganz Siebenbürgen auch im Burzen­land gesungen werden, deren Text und Melodie aber nicht aus dem Burzenland stammen (Af deser Ierd, Die Gipfel der Karpaten) ist verständlich und verzeihlich (ob dann aber noch der Titel der CD und des Liederheftes stimmt?). Eben-­ so, dass auch mit Produkten vorlieb genommen werden muss, deren ästhetischer und künstlerischer Wert etwas bescheiden ist, oder dass man zu einem vorhandenen Lied einen neuen Text dichtet und das Lied im Sinne der einschlägigen Vorgaben umfunktioniert. Umgekehrt ist es richtig, das in ganz Siebenbürgen als Volkshymne gesungene Siebenbürgenlied mit einzugliedern, da sowohl der ursprüngliche Text („Bürger Kron­stadts, lasst uns singen”) als auch die Melodie des Heldsdorfers Johann Lukas Hedwig aus dem Burzenland stammen.

Obiges wie auch gelegentliche Druckfehler (Music) oder fehlende Angaben zu „Des Morjest“ und zur Variante von „Ze Krine” (die unter dem Titel „Der ungetreue Ritter“ erscheint) sind, das Ganze vor Augen, unbedeutend. Wichtig ist, dass wir es mit einer ehrlichen, tiefempfundenen Liebesbezeigung für diese heimatliche Region zu tun haben, mit Veröffentlichungen, die uns ganz allgemein ein Stück Heimat zurückgeben, Heimat erleben lassen, Freude und Trost spenden, unsere Identität festigen und gleichzeitig eine Seite Musikgeschichte schreiben. In Abwandlung eines Wortes von Carl Römer über das Liedschaf­fen Hermann Kirchners kann man sagen: Steffen Schlandt hat mit seinen Konzertauftritten, seinem Liederbuch und seiner CD „unserm Volk ans Herz gegriffen, er hat ihm gegeben, wonach sich unbewusst seine Seele sehnt”. Über die gesanglichen und musikalischen Qualitäten des Chors im Einzelnen ist bei Heinz Acker nachzulesen (siehe SbZ Online). Sowohl das Liederheft als auch die CD des Jugendbachchors Kronstadt sind wärmstens zu empfehlen.

Karl Teutsch



Das Liederbuch „Wo der Königstein schaut tief ins Tal hinein. Heimatlieder und Bilder aus dem Burzenland.“, gesammelt von Steffen Schlandt, herausgegeben von der Evangelischen Kirche A.B. Kronstadt mit Unterstützung der HOG-Regionalgruppe Burzenland, Kronstadt 2011, ISBN 978-973-0-10876-7, ist für 5 Euro zu bestellen bei Julius Henning, 75173 Pforzheim, Bichlerstraße l9, Tel. (0 72 31) 2 48 64, E-Mail: julhenning [ät] alice-dsl.net, oder Annette Königes, Gruithuisenstraße 4, 80997 München, E-Mail: Annette.Koeniges [ät] gmx.net. Eben­so die CD „Wo der Königstein schaut tief ins Tal hinein. Heimatlieder aus dem Burzenland“, Jugendbachchor Kron­stadt, Leitung: Steffen Schlandt, zum Preis von 10 Euro, jeweils zuzüglich Porto.

Schlagwörter: Kronstadt, Jugend, Chor, Musik

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