25. Juli 2011

Mehrfache Konzertveranstaltungen zum 90. des Komponisten Helmut Sadler

„Immer weiter, auf der Lebensleiter“ – unter diesem Motto fand am Tag nach Helmut Sadlers 90. Geburtstag (23. Juni) ein stimmungsvolles Festkonzert statt. Obwohl die Lokalzeitung eine Ankündigung der Veranstaltung verschlafen hatte, war doch ein beachtlicher Fankreis im Heidelberger Musikhaus Hochstein erschienen, um den in Siebenbürgen geborenen Komponisten, der in Heidelberg seine Wahlheimat und auch weite Anerkennung gefunden hat, zu ehren. Auch wenn die Beine den gewichtigen Mann nur noch mit Mühe tragen wollen, der charismatisch wirkende Herr war anwesend und zeigte sich bei geistiger Frische sichtbar erfreut über die erbrachte Ehrung.
Es war ein auserwähltes „Fachpublikum in Sachen Sadler“, so dass der Laudator Prof. Heinz Acker sich den Scherz erlauben konnte, seine äußerst launige Laudatio in der Form eines Sadler-Quiz’ zu beginnen. Das Motto des Abends, so Acker, entstammt einer seiner letzten Kompositionen, der Chorkantate „Lebensstufen“, in der Sadler von der Warte eines erfüllten Lebens einen philosophisch heiter-hintergründigen Blick auf die Sinnhaftigkeit des Lebens in seinen einzelnen Entwicklungsstufen wirft. Die Textvorlage entstammt der Feder des Großonkels Johann Maurer und versucht die existentielle Frage „Was ist der Mensch?“ mit knappen, treffenden Betrachtungen zu den einzelnen Lebensstufen in Zehnersprüngen zu beantworten. Zum 90. Lebensjahr heißt es da lakonisch: „Was ist der Mensch? Mit 90 ist man wieder (wie) ein Kind“. Das betrifft weniger die Hilflosigkeit des gebrechlich werdenden Alters und hat auch nichts mit pueriler Kindhaftigkeit zu tun. Sadler hat sich sein sonnig kindliches Gemüt bewahrt, die Fähigkeit zu staunen, sich zu freuen, wie auch das kindliche Urvertrauen in die führende Hand eines Allmächtigen, die ihn durch manche Klippen des Lebens leitete, aus dem behüteten Siebenbürgen seiner Kindheit über Krieg und Gefangenschaft zu einem Neubeginn in der neuen Heimat.

Das Programm zeigte, dass dieser Rückblick auf prägende Ereignisse seiner Kindheit vielen seiner Werke eigen ist. In seinem umfassenden Oeuvre, das fast alle Werkgattungen umfasst, taucht immer wieder die Kulisse der Kindheit auf. Es ist das Dorf Streitfort, das am Rande des siebenbürgischen Siedlungsgebietes liegt, wo sich so viele unterschiedliche Ethnien – Rumänen, Ungarn, Deutsche, Juden, Zigeuner – in vielfacher Weise begegnen. So ist es nicht nur die durch den Vater, einen Dorfschullehrer, und den Großvater, einen begnadeten Dorfkantor- und Organisten, vermittelte Tradition der Siebenbürger Sachsen. Es ist vor allem das urwüchsig Fremdartige etwa im Gesang der ungarischen Hausmädchen und der rumänischen Dorfmusikanten, die den Jungen so faszinieren, dass diese Eindrücke in seinem späteren Schaffen unüberhörbar nachklingen werden.

Der Jubilar mit Ehefrau. ...
Der Jubilar mit Ehefrau.
Beispielhaft entschlüsselte Acker die Kindheitserinnerungen, die seinen vier „Arabesken für Violine und Klavier“ als Inspirationsquelle zu Grunde liegen. So wurde die zündende Interpretation des Werkes durch Arne Müller (Violine) und Iris Lohnes (Klavier) zu einem klingenden Bilderbuch aus Kindertagen. Da folgt man gebannt dem tapsigen Tanz eines Tanzbären zu den Klängen eines fidelnden Zigeuners (1. Satz, Allegro moderato), lässt sich träumerisch mit zeitvergessenen Hirtenimprovisationen in Klanglandschaften der Kindheit entführen (2. Satz Larghetto), folgt interessiert einer Kutschfahrt des Enkels mit dem Großvater über holprige Feldwege des siebenbürgischen Hochlandes zu den Orgelvisitationen des Großvaters (3. Satz Allegro) und lässt sich schließlich mitreißen in den Taumel eines barbarisch-wilden, archaischen Ritualtanzes rumänischer Erntearbeiter, den der Knabe seinerzeit in der gegenüberliegenden Dorfschänke fasziniert beobachtet hatte. Der Satz-Titel „Allegro barbaro“ ist sicher nicht zufällig gewählt, sondern eher als Reverenz an das gleichnamige Stück des hochverehrten Landsmannes und Vorbildes Béla Bartók zu verstehen, der sich ja aus den gleichen folkloristischen Quellen inspirierte.

Mit weiteren anekdotischen Details erwies sich Acker als Kenner von Leben und Werk des Jubilars, schließlich hatte das Schicksal gerade ihn, einen weiteren Siebenbürger, zum Nachfolger Sadlers auf dessen Theorieprofessur werden lassen. Doch auch wenn man derartiges Hintergrundwissen nicht hat, die Musik Sadlers besticht durch ihre rhythmische Prägnanz, ihre melodische Zugänglichkeit und den exotischen Reiz ihres südöstlichen Klangkolorits. Sadler bekannte einmal: „… Sicher weckte das, was an bodenständiger, in Rhythmus und Melodie gleich wurzelstarker Volksmusik zuerst an meine Ohren klang, die Musikalität in mir ... das scheint vieles in meinem Werk zu erklären ... das folkloristische Element ist daher in allen Werken leicht zu erkennen …“. Die Worte entstammen dem Vorwort zu dem nächsten dargebotenen Werk, seiner „Sonate für Violoncello und Klavier“, die noch während Sadlers Studienzeit in Heidelberg (bei Gerhard Frommel) entstand und den ­unbändigen Gestaltungswillen des jungen Kompositionsschülers verrät, der nach den Kriegswirren endlich den Herzenswunsch eines Musikstudiums verwirklichen konnte. Mario Schönfeld (Cello) und Iris Lohnes (Klavier) verstanden es, die Glut dieses anspruchsvollen Jugendwerkes (das verloren ging und 2003 durch Sadler rekonstruiert wurde) zu entfachen. Einen anderen Aspekt Sadler’schen Schaffens verriet der dritte Musik­beitrag des Abends: vier Duette aus seiner Märchen-Oper „Die Glocke“. Mit erfrischendem Gesang ließen die Sängerinnen Susanne Piro und Brigitte Becker die Hauptprotagonisten der Oper (armer Peter und Prinz) erstehen. Dass man damit nicht nur Kinderherzen bewegt, sondern auch gestandene Konzertgänger, zeigte die Reaktion des Publikums.

Ein (Komponisten)Leben lang hat sich Sadler darum bemüht, mit seiner Musik vorrangig auch Kinder und Jugendliche anzusprechen. Wie sehr ihm dies gelingt, zeigte einige Tage später ein weiteres Jubiläumskonzert, dargeboten von der städtischen Musik- und Singschule als Reverenz an den Heidelberger Komponisten, der auch an dieser Schule tätig war. Hier sind etliche seiner Werke uraufgeführt worden und haben ihren Weg in die Landschaft der Schulmusik und Musikschulen gefunden. Auch das Motto dieses Konzertes „Wer sich die Musik erkiest“ ist ein Zitat eines Sadler-Werkes, nämlich der kleinen Quodlibet-Kantate nach dem bekannten Luther-Text über den Ursprung der Musik. Der Heidelberger Kammerchor unter Jochen Woll erwies sich da als feinsinniger Interpret dieser Kantate wie auch eines weiteren Sadler-Werkes: seiner stimmungsvollen Genrebilder „Herbsttage“ für Chor und Bläser nach Texten des früh verstorbenen siebenbürgischen Dichters Michael Wolf Windau. Weitere Schulformationen – etwa das Orchester II oder ein Blockflötenquartett – ergänzten den Reigen des Geburtstagkonzertes und zeigten mit ihrem Engagement, wie sehr Sadler, dieser „Siebenbürgische Carl Orff“ der Schulmusik, den musikalischen Nerv von Jugendlichen zu treffen vermag. Kein Wunder, dass gerade diese Schulwerke landauf, landab gespielt werden. Bei den „Löwensteiner Musiktagen“ war bereits durch ein vorwiegend jugendliches Symphonieorchester unter H. Ackers Lei- tung Sadlers mitreißendes Orchesterstück „Toccatina“ gespielt worden. Das gleiche Stück vermag aber auch Profi-Orchester zu animieren. Die Heidelberger Philharmoniker werden es bei ihrem nächsten Schlosskonzert in der berühmten Schlossruine aufführen. Es ist wohl die größte Ehrung für den siebenbürgischen Kulturpreis­träger Sadler, dass sein Werk angenommen und aufgeführt wird. Im Karlsruher Musiknoten-Verlag Latzina, dem Hauptverleger Sadlers, ­erschien dieser Tage ein Bläserquintett aus Sadlers Feder, das zwar aus früheren Tagen stammt, aber dennoch zeigt, dass es das noch einiges zu entdecken gibt.

Chr. H.

Schlagwörter: Geburtstag, Porträt, Komponist, Musiker

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