7. Januar 2012

Helmut Höhr: "Was ist Heimat?"

Anlässlich des 26. Prudner Heimattages, der am 28. Mai 2011 in Nürnberg stattfand (diese Zeitung berichtete), hielt Helmut Höhr vor den im „Palmengarten“ versammelten Prudnern eine Festrede zum Thema „Was ist Heimat?“. Der Vortrag, der allgemein gültige Gedanken enthält, wird im Folgenden in gekürzter Fassung wiedergegeben.
Oft haben wir in Volksliedern unsere alte Heimat mit all ihren Schönheiten besungen und singen diese Lieder noch, wie zum Beispiel das Lied „Willst du Gottes Werke schauen“:

1. Willst du Gottes Werke schauen
Komm ins Siebenbürgerland!
Jedes Stückchen ist ein Kunst­werk
Aus des Schöpfers Meisterhand.

2. Hier die Berge, dort die Täler,
Hier die Wiesen, dort der Wald.
Und der Fluss fließt durch die Auen,
Darüber weit das Echo schallt.

3. Und der Mädchen holde Augen
Und die Keller voller Wein.
Willst du nicht einmal zu Gaste
Hier in Siebenbürgen sein?

4. Freund, es zieht mich immer
Wieder unter dieses Sternenzelt.
Siebenbürgen, teure Heimat,
Bist die schönste auf der Welt.


Der 1930 geborene Lehrer Helmut Höhr hat sich ...
Der 1930 geborene Lehrer Helmut Höhr hat sich intensiv mit dem Heimatbegriff befasst.
Mit dem Begriff Heimat habe ich mich in meiner 40-jährigen Dienstzeit als Lehrer viel beschäftigt. Den Anlass dazu gab mir eine Begebenheit aus dem Herbst 1944, als unsere Nachbar­gemeinden auf der Flucht vor der russischen Front waren. Fast hätte dieses fatale Schicksal auch uns Prudner getroffen. Die Flüchtenden fuhren anfangs mit ihrem eigenen Fuhrwerk, ließen ihr Hab und Gut zurück. Aber weil sie zu langsam vorwärts kamen, fuhren sie mit einem Zug weiter. Der Zug blieb in Ungarn auf einem kleinen Bahnhof stehen und aus der Gegenrichtung kam ein anderer mit lauter jungen deutschen Soldaten. Auch dieser blieb stehen und die Soldaten stiegen aus, gingen zu den Flüchtenden, fragten, wohin sie fahren. „Nach Deutschland“, kam die Antwort. Unsere Landsleute waren sehr enttäuscht, als die Soldaten sagten: „Was wollt ihr in Deutschland, dort gibt es Menschen und Elend genug.“ Darauf kamen die Siebenbürger Sachsen aus ihren Waggons, stellten sich davor und sangen:

1. Nach der Heimat möchte ich wieder
Nach dem teuren Vater Ort,
Wo man singt die frohen Lieder,
Wo man spricht ein trautes Wort.

2. Deine Täler, deine Höhen,
Deiner heil’gen Wälder Grün.
O die möchte ich wieder sehen,
Dorthin möchte ich wieder ziehen.


Darauf gingen die Soldaten zu ihren Waggons und brachten Schokolade, Esswaren, alles, was sie nur verschenken konnten, und gaben es den Flüchtenden.

Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl zeigte einmal dem amerikanischen Präsidenten seine Heimat, die Pfalz. Danach sagte Bill Clinton bei einer Ansprache im Weißen Haus: Erst seit diesem Besuch wüsste er, was die Deutschen unter Heimat verstehen.

Den Begriff „Heimat“ kann man nicht genau definieren, weil jeder seine persönliche Heimatvorstellung und seine Lebenserfahrungen hat. Aber es gibt gemeinsame Grundzüge, die das Heimatgefühl beinhalten. Heimat ist ein Ort, den man liebt, schön findet und mit dem man sich verbunden fühlt. Als am 3. Oktober 1991 unsere Bundesregierung den Tag der Deutschen Einheit feierte, wurde der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber gefragt, woran er an so einem großen Feiertag wohl denken würde. Darauf kam die Antwort: „Deutschland ist mein Vaterland und Bayern ist meine Heimat.“

Wir Siebenbürger Sachsen hatten drei Begriffe: Vaterland war Rumänien, dem wir gegenüber ehrlich und treu unsere Pflichten erfüllten. Deutschland war unser Mutterland, zu dem unsere kulturellen Beziehungen nie abbrachen. Siebenbürgen war unsere schöne und liebe Heimat. Für uns Siebenbürger Sachsen, die wir eine Heimat verlassen haben, hat der Heimatbegriff drei Komponenten: Die erste Komponente ist die äußere Heimat, die Umgebung und ihre Menschen, die darin leben. Die zweite Komponente ist die innere Heimat, darunter versteht man das Heimatgefühl, dazu gehören: Familie, Freunde, Sprache, Glaube, Sitten und Bräuche.

Die dritte Komponente ist die Geborgenheit, sie verbindet die äußere und die innere Heimat. Durch die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges ging uns die Geborgenheit verloren. So sehnten wir uns wieder nach Geborgenheit und wanderten nach Deutschland aus. Wir ließen die äußere Heimat zurück, aber die innere Heimat haben wir mitgebracht. Hier in Deutschland, wo wir uns niedergelassen haben, fanden wir wieder eine schöne äußere Heimat und die Bundesrepublik Deutschland sichert uns die Geborgenheit. Seither haben wir wieder eine intakte Heimat, die wir lieben, der wir uns in unsern Rechten und Pflichten verbunden fühlen.

Heimat ist kein Geschenk, sondern man muss sie sich erwerben, anteilnehmen am alltäglichen Leben. Der Staat gewährt nur die Geborgenheit, so dass wir unsere Sitten und Bräuche weiter pflegen und erhalten können. Unser Verband der Siebenbürger Sachsen, die Kreisgruppen, die Heimatortsgemeinschaften tragen dazu bei, dass wir uns ab und zu nach alter Sitte und Brauch zusammenfinden. Diese Treffen sind auch der Ausdruck des Heimatgefühls, des Gefühls der Zusammengehörigkeit. Es wird nicht nur über die in der alten Heimat zusammen verbrachten Jahre, sondern auch über die neue Heimat gesprochen. Das alte Heimatgefühl wird immer wieder geweckt und gestärkt.

Für uns Prudner gibt es seit dem Treffen von 2009 eine ganz besondere Überraschung. Wir bekamen unsere alte Heimat sogar zu uns ins Haus. Packt uns das Heimweh nach der alten Heimat, so brauchen wir nur unser Heimatbuch in die Hand zu nehmen. Und nun zum Abschluss kann ich nur sagen: Jeder braucht eine Heimat. Sie gibt uns Mut und die Kraft für unseren Alltag. Sie ist für uns Menschen so notwendig wie die Luft zum Atmen. Uns Siebenbürger Sachsen ist es in die Wiege gelegt worden, auch die neue Heimat zu lieben, sie zu pflegen, dass sie uns immer lieber und schöner wird. Die Erinnerungen an die alte Heimat, Pruden, mit ihren so schönen Tälern, Bergen und Wäldern, die Große Kokel, in der wir beim Baden immer unseren großen Spaß hatten, und die Erinnerung an den feierlichen Klang der Glocken der Prudner Kirche bleiben auch weiter bestehen.

Helmut Höhr

Schlagwörter: Heimat, Pruden, HOG-Treffen

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Neueste Kommentare

  • 08.01.2012, 09:26 Uhr von gloria: Herzlichen Dank Herr Höhr!Heimat ist wichtig für jeden Menschen und die drei Aspekte haben Sie ... [weiter]
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