14. April 2013

Der Schrecken und das Triste in der Belletristik

Am 19. März sprach der Literaturwissenschaftler Michael Markel im Haus des Deutschen Ostens München (HDO) über „Die Deportation der Rumäniendeutschen in der Literatur“. Zu dem Vortrag hatten HDO, Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Universität München (IKGS) sowie Kreisgruppe und Bundeskulturreferat des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland eingeladen. Rund 100 Personen waren der Einladung gefolgt.
Die gute Publikumsresonanz ist sicher dem einschneidenden historischen Ereignis der Deportation zu verdanken. Dass die Besucher nach gut zwei Stunden begeisterten Applaus spendeten, ist jedoch das Verdienst von Michael Markel, der seit mehreren Jahren nicht nur eine repräsentative Literaturauswahl getroffen und den Stoff in eine gut aufbereitete Form gebracht hat, sondern diesen auch in ansprechender Weise zu Gehör brachte.

Damit wurde die von Bundeskulturreferent Hans-Werner Schuster bei Beginn der Veranstal­tung angesprochene Erwartung erfüllt. Schuster war für den durch Gremiensitzungen verhinderten Direktor des IKGS, Prof. Dr. Stefan Sienerth, eingesprungen und begrüßte die Gäste und Veranstalter, namentlich die für Kultur zuständige Mitarbeiterin des HDO, Patricia Erkenberg, sowie den Kreisgruppenvorsitzenden Wilhelm Jakob Hermann. Kurz stellte er Michael Markel vor, der zwischen 1962 und 1992 als Dozent für deutsche und rumäniendeutsche Literatur an der Universität Klausenburg gewirkt und sich als Autor und Herausgeber einen Namen gemacht hat. Ausführungen zum Themenkomplex Deportation konnte er sich sparen; dieser sollte vom Referenten ausführlich behandelt werden.

Michael Markel widmete sich u.a. Erwin Wittstocks ...
Michael Markel widmete sich u.a. Erwin Wittstocks „Januar ’45 oder die höhere Pflicht“. Foto: Konrad Klein
Im Einleitungsteil machte Michael Markel deut­lich, dass die Zwangsverschickung der arbeitsfähigen deutschen Bevölkerung zur „Aufbauarbeit“ in die Sowjetunion als Teil der zu leistenden Reparationen von den Alliierten akzeptiert worden war. Aus allen Gebieten, die seit Herbst 1944 im militärischen Machtbereich der Sowjets standen, wurden Deutsche deportiert. Von insgesamt rund 360000 Deportierten kamen knapp 70000 aus Rumänien. Zwischen dem 10. Januar und dem 2. Februar 1945 wurden auch 30336 Siebenbürger Sachsen in Viehwaggons in den Donbass oder Ural verschleppt. Die Rolle der rumänischen Regierung ist bis heute noch nicht endgültig geklärt; somit auch nicht die Deportations­entschädigung. Sie alle wurden in Lager verbracht, die unter bewaffneter Aufsicht und militärischem Strafrecht standen. Unter unmenschlichen Bedingungen schufteten sie im Bergbau oder auf Baustellen und hatten Hunger und Kälte, Krankheiten und Willkür zu erdulden, denen rund 15% zum Opfer fielen. Die Überlebenden kehrten zum größten Teil erst nach fünf Jahren heim.

Das unglaubliche Leid, die maßlose Ungerechtigkeit, die Sehnsucht nach der Heimat und den lieben Menschen; dieses Trauma fand seinen Nie­derschlag auch in der Literatur. Markel stellte einige Werke vor, besprach sie und las daraus zum Veranschaulichen des Gesagten kennzeichnende Abschnitte vor. Das Eingangsgebet aus Georg Brenndörfers „Christi-Geburt-Spiel der Siebenbürger Sachsen im Donbas“ war wohl das Beeindruckendste der präsentierten Texte. Rainer Biemels französich geschriebenes, mehrfach übersetztes Buch „Mein Freund Wanja“ gilt als bester Deportationsroman vor Herta Müllers „Atemschaukel“. Seine abenteuerliche Flucht erzählt Bernhard Ohsam in „Eine Handvoll Machorka“ in witzig-unterhaltsamem Ton. Der Banater Johann Lippert hat als einer der wenigen Autoren unter rumänischer Zensur über Donbass- und Bărăgandeportation veröffentlichen können. In die von der Zensur weniger überwachte Mundart wich Ludwig Schwarz mit „De Kaule-Baschtl“ aus; ebenso Hans Kehrer mit dem 1980 uraufgeführten Theaterstück „Zwei Schwestern“. Erwin Wittstocks „Januar ’45 oder die höhere Pflicht“ konnte erst 1998 erscheinen. Joachim Wittstock veröffentlichte seinen Deportationsroman „Bestätigt und besiegelt“ 2003.

Abschließend ging Markel auf Richard Wagners „Habseligkeiten“ und auf die „Atemschaukel“ von Herta Müller ein. Zum Roman der Nobelpreisträgerin meinte Markel, „dass darin in expressiv gesteigerter, zugleich zupackender genauer Sprache sowie in wahrhaft auf- und umwühlend gestalteten Szenen der Schritt von der Faktenwirklichkeit zur sprachfiktionalen Romanwirklichkeit exemplarisch gelungen sei.“

Sehr aufmerksam und mit großer Spannung und Ergriffenheit folgte das Publikum dem Vortrag, war doch fast jeder entweder über ein Familienmitglied betroffen oder gar selbst Opfer. Renate Kaiser dankte Michael Markel im Namen der Veranstalter für seinen großartigen Vortrag mit einem Zitat aus seinem Vortrag: „Wir werden Deine Worte im Kopf behalten und im Herzen bewegen.“

Renate Kaiser

Schlagwörter: Vortrag, München, Deportation, Literatur

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  • 14.04.2013, 11:46 Uhr von Helmut Hörbiger: Diesen Vortrag brachte Michael Markel im Rahmen der Stuttgarter Vortragsreihe bereits am 22. ... [weiter]

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