27. Juni 2014

"Stimme einer ganzen Generation": Autorin Maria Ludwig wird 90

Am 14. Januar 1945, einem Sonntag, um fünf Uhr früh hörte die heute 90-jährige Maria Ludwig die Trommel schlagen. Draußen war es dunkel, sie und ihre Familie lagen noch im Bett und zitterten am ganzen Körper, denn es war so furchtbar unheimlich, als der Trommler rief: „Alle Männer der Jahrgänge 1900-1928 und alle Frauen der Jahrgänge 1915-1927 sollen sich bis acht Uhr im deutschen Saal versammeln. Wer nicht erscheint, bei dem kommen wir die Eltern holen.“
An diesem Tag begann im Alter von zwanzig Jahren Maria Ludwigs langer Weg ins russische Arbeitslager Stalino, aus dem sie am 7. Februar 1947 durch eine List frühzeitig entlassen wurde. Danach wollte sie nur noch in ihre Heimat Kleinschelken im Kokeltal in Siebenbürgen zurück, um endlich wieder bei ihrer Familie zu sein. Doch die Rumänen wollten die deutschstämmigen Siebenbürger Sachsen nach 800 Jahren nicht mehr in ihrem Land haben, und Maria Ludwigs 16-monatige Flucht nach Deutschland begann.

Am 27. Juni wird die Autorin Maria Ludwig stolze 90 Jahre alt. Sie lebt verwitwet mit ihrer Familie in Penzberg, wo sie mit ihrem Verlobten Peter Ludwig am 8. Mai 1948 eintraf. Nach langen harten Jahren bauten sie sich dort eine neue Existenz auf und gründeten eine Familie. Immer wieder erzählte sie ihren beiden Kindern Heidi und Peter von ihrem früheren Leben in Siebenbürgen, ihrer Gefangenschaft im russischen Arbeitslager und ihrer Flucht nach Deutschland. „Schreib’s auf!“ forderte ihre Tochter Heidi sie auf. Was Maria Ludwig schließlich im Winter 1996/97 tat. 120 vollgetippte Seiten brachte sie zu Papier, ein wahrer historischer Schatz. Endlich hatte sie sich alles von der Seele geschrieben. Nun war es die Mutter, die zu ihrer Tochter sagte: „Mach was draus!“ Was wiederum nicht so einfach war.

Maria Ludwig ...
Maria Ludwig
Im Februar 2013 nahm Heidi Gunesch Kontakt zu der Biografin Dagmar Wagner aus Berg bei Starnberg auf, die das Manuskript komplett überarbeitete und mit historischen Notizen ergänzte. Nach insgesamt sechs Monaten lag das gedruckte Buch „Marias langer Weg – vom Kokeltal ins Loisachtal“ auf dem Tisch. Seitdem ist es ein großer Trost für viele Landsleute von Maria Ludwig geworden. Ein Buch, das authentisch von den alten, längst vergangenen Zeiten und Bräuchen erzählt, vom russischen Arbeitslager und der schweren Zeit des Aufbaus in Deutschland. Für viele ist es zu einem kostbaren Dokument geworden, und das nicht nur für die damalige Generation: Auch die Kinder und Enkelkinder wissen das Werk zu schätzen.

Bewegende Briefe und Anrufe gingen bei Maria Ludwig ein, die „mit Ihren sehr persönlichen Erinnerungen eine bescheidene, aber bleibende Stimme einer ganzen Generation Kleinschelker/Siebenbürger Mädchen und Frauen, deren Schicksal sonst in Vergessenheit geraten wäre, verliehen hat.“ „Eine lebendige Beschreibung des Lebens auf dem Dorf in Siebenbürgen“, das heute viele nur aus den Erzählungen ihrer Großeltern kennen. Aus ganz Deutschland, aus Siebenbürgen und sogar aus Amerika erhielt Maria Ludwig Zuschriften der Dankbarkeit und des Lobes. Und tatsächlich beeindrucken Maria Ludwigs Schilderungen, mit denen sie ganz ohne Rührseligkeit, übertriebene Dramatik und Selbstmitleid in einfachen Worten von ihrem Leben und jahrelangen Überlebenskampf erzählt.

Eine sehr gut besuchte, erfolgreiche Lesung während der Nordwalder Biografietage am 20. September 2013 und lobende Rezensionen folgten; die Bayerische Staatsbibliothek, die Deutsche Nationalbibliothek, das Stadtarchiv Penzberg und die Siebenbürgische Bibliothek haben Exemplare von Maria Ludwigs Buch in ihrem Bestand. Selbst Herta Müller erhielt ein Exemplar! Maria Ludwigs Familie bewahrt weitere Exemplare auf. Für viele ist das Buch schon jetzt von unschätzbarem persönlichem Wert, und auch für die Geschichtsschreibung könnte es noch von großem Nutzen sein!

Selbst noch einmal nach Siebenbürgen reisen möchte die 90-Jährige nicht mehr. Geistig rege genießt sie ihr autonomes, aktives und diszipliniertes Leben mit Spaziergängen, Gymnastik nach dem Aufstehen, dem Kirchgang, politischen Informationen durch Tageszeitung und Fernseher, selbst gekochten Mahlzeiten, strenger Mittagsruhe und einer eigenen Fußreflexzonenmassage. Ihre Kinder Heidi und Peter, die Schwiegerkinder, vier Enkelkinder und zwei Urenkel wünschen Maria Ludwig alles Liebe und Gute, die beste Gesundheit und Zufriedenheit.

Dagmar Wagner

Schlagwörter: Autorin, Jubilar

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