31. Dezember 2017

Film mit Zeitzeugnissen der Russlanddeportation

So wie der 23. August in der Erinnerung der Erlebnisgeneration unlösbar mit dem „Zusammenbruch“ der alten Ordnung in Siebenbürgen verbunden ist, sind die Tage um den 13.-15. Januar Tage des Gedenkens an die „Aushebungen“ der jüngeren deutschen Männer und Frauen, die nach dem Krieg noch in ihrer Heimat lebten, zur Zwangsarbeit. Die Aufarbeitung dieser traumatischen Erlebnisse begann erst spät, so dass insbesondere filmische Zeugnisse von Betroffenen selten sind.
Bereits 2010 widmete der junge Filmemacher Florin Besoiu den Dokumentarstreifen „Die Alptraumreise“ dem Thema am Beispiel seiner Heimatstadt Mühlbach (Besprechung von Ruxandra Stănescu in der SbZ Online vom 24. Juli 2010). Nun rundet er das Thema mit dem zweiten Streifen „Die Überlebenden im Winter“ ab. In seiner rumänischen Version heißt der Film „Supraviețuitorii la bătrânețe“. Es geht hier also um den Rückblick aus der Perspektive des Alters. 71 Jahre nach jenen schrecklichen Tagen im Januar 1945 hat der Regisseur in Rumänien lebende Zeitzeugen aufgespürt und über ihre Erlebnisse befragt. Besoius erster Film über die Deportation hatte das Format eines klassischen Dokumentarstreifens, in dem ein guter chronologischer Überblick und Interviews mit Zeitzeugen über ihr Erleben einander abwechselten, so dass insbesondere auch jüngere Zuschauer einen Zugang finden konnten zu dem furchtbaren Geschehen. Der neue Film beginnt mit einer sehr prägnanten Zusammenfassung der historischen Zusammenhänge und der konkreten Umstände, die zur Deportation führten, durch die Journalistin Hannelore Baier, konzentriert sich dann aber im Wesentlichen auf das individuelle Erleben während der Deportation, wie es die Interviewpartner heute, in sehr hohem Alter reflektieren.

Stand in der „Alptraumreise“ eine kleine städtische Gemeinschaft von Siebenbürger Sachsen im Mittelpunkt, so weitet sich die Perspektive nun, und neben Siebenbürger Sachsen kommen auch Banater Schwaben und eine sathmarschwäbische Zeitzeugin zu Wort. Interviews vor laufender Kamera sind generell kürzer als gedruckte Schilderungen, vermitteln aber einen viel lebendigeren Eindruck der sich Erinnernden. Es ist beeindruckend und bewegend, wie genau die Erinnerungen sind und mit welcher Gefasstheit über das Unfassbare, das grenzenlose Leid berichtet wird, aber auch von dem Überlebenswillen, der bei den meisten Betroffenen mobilisiert wurde. Der Regisseur wählte eine sehr strenge Form, nimmt sich ganz zurück. Die kurzen, prägnanten Fragen werden auf schwarzem Hintergrund eingeblendet, auf die Antworten kommt es an. Es geht um Wesentliches, es geht um Einschnitte in das Leben der damals grade an der Schwelle des Erwachsenenlebens stehenden Menschen.

Als ein Glücksfall für Besoiu erweist sich Ignaz Bernhard Fischer, der als Achtzehnjähriger von der Schulbank der Temeswarer Banatia weg zur Zwangsarbeit verschleppt wurde. Seine Schilderungen sind besonders detailliert und werden mit der natürlichen Begabung des Erzählers aus dem Volke vorgetragen, immer mit ein wenig Schalk in den Augenwinkeln. Ob das zu den Überlebensstrategien inmitten von Hunger, Kälte und extremer Schwerstarbeit zählte – sich wenigstens ein wenig Sinn für Humor zu bewahren? Vielleicht ist es aber auch die Gefasstheit des Alters, mit der er sich an den ewigen Kampf gegen die Wanzenplage erinnert oder an seine vergeblichen Bemühungen, eine Katze zu fangen, um seinen Hunger zu stillen. In seiner immer flüssigen und detailreichen Schilderung legt er noch einen Zahn zu, wenn er erzählt, wie die Katzen es „anscheinend gerochen hätten“, dass ihnen einer an den Kragen will und immer rechtzeitig das Weite gesucht haben. Ignaz Fischer war übrigens langjähriger Vorsitzendes des 1991 gegründeten Vereins der ehemaligen Russlanddeportierten und hat sich aktiv und sehr erfolgreich für deren Rechte eingesetzt.

Eindrucksvoll ist auch das Interview mit dem Komponisten Hans Peter Türk, dessen Vater in der Deportation starb. Türks Erinnerungen, darunter sein unerfüllt gebliebener Wunsch, sein Vater möge ihm das Klavierspielen beibringen, verdeutlichen, wie schmerzhaft und wie nachhaltig die Deportation das Leben der Familienangehörigen bis heute beeinflusst.

Der Film ist in einer rein deutschen Fassung bzw. in einer Fassung mit rumänischen Untertiteln für 20 Euro, zuzüglich Versandkosten, beim Regisseur Florin Besoiu in Leipzig zu bestellen, telefonisch unter: (01 76) 35 56 24 19 oder per E-Mail: fbfilmproduktion[ät]gmail.com.

Hansotto Drotloff

Schlagwörter: Film, Deportation, Russland, Geschichte

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