29. Februar 2020

„Das Wort sie sollen lassen stahn …“

… es ist eine Zeile der 5. Strophe aus Luthers Kirchenlied „Ein feste Burg ist unser Gott“, das auch in den protestantischen Kirchen Siebenbürgens wie ein Bekenntnis zu Standhaftigkeit und Bestärkung im Glauben durch Jahrhunderte gesungen wurde – Heinrich Heine hat es als die „Marseiller Hymne der Reformation“ bezeichnet. Zahlreiche Jubiläumsveranstaltungen haben im Reformationsjahr 2017 diese Zeile als Titel oder Motto ihrer Veranstaltungen gewählt. Das Siebenbürgische Museum Gundelsheim ebenfalls, dieses zu einer Ausstellung mit dem Untertitel „Deportation im Habsburgerreich im Zeichen des Evangeliums“. Dargestellt wurde darin die Geschichte der wegen ihrer Religion verfolgten Protestanten im Habsburgerreich, die, ihren Glauben gegen alle Fährnisse verteidigend, fest im „Wort stehend“, einen leidvollen Weg der Verfolgung und Vertreibung aus dem Salzkammergut, der Steiermark und Kärnten ins damals habsburgische Siebenbürgen auf sich nehmen mussten.
Im Dezember 2019 ist die Dokumentation zu dieser Ausstellung erschienen, gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Es ist eine gelungene Publikation mit wissenschaftlich fundiertem Katalogteil (Beschreibung der abgebildeten Ausstellungsobjekte mit Vermaßung, Materialanalyse und -technik, detaillierter Beschreibung der Dekoration, Besitzerherkunft u.a.m.), darüber hinaus eine Einführung in die Geschichte der Siebenbürger Landler, wobei anschauliche Abbildungen den äußerst eingängigen, zugleich wissenschaftlich fundierten Text begleiten und belegen.

Die Geschichte führt den Leser aus der Zeit des Untergrundprotestantismus im Habsburgerreich des 17. Jahrhunderts über das 18. Jahrhundert, die Zeit der dramatischen Verfolgung und Transmigration der „Irrgläubigen“ „im Zeichen der konfessionellen Säuberung“ – ein Staatsprojekt der Habsburger – bis in unsere Tage.

Das Buch zeigt eine klar nachvollziehbare Struktur mit chronologisch und inhaltlich definierten Kapiteln, denen aussagestarkes, fachlich und ästhetisch repräsentatives Anschauungsmaterial zugeordnet ist.
Gruppenporträt der Landlerfamilie Lederer in ...
Gruppenporträt der Landlerfamilie Lederer in Neppendorf, 1903, Schwarz-Weiß-Fotografie, © Privatarchiv I. Sedler
Wie sich Vertreibung aus den österreichischen Erbländern der Krone, die Ankunft der österreichischen Transmigranten in Siebenbürgen – deren Nachfahren sich als „deutschsprachige Minderheit im Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen“ jahrhundertelang behaupteten – vollzogen hat, lässt sich in straffer Gliederung nachlesen: Gelungene Ansiedlung oder aber Elend und Tod, Integration ins kirchliche und soziale Leben mit traditionell sächsischen Strukturen (Bruderschaft, Nachbarschaft), die Etablierung einer eigenen Landlerkultur, der Lebensvollzug „von der Wiege bis zur Bahre“, das Leben im Kommunismus – all das wird im Buch anschaulich dokumentiert. Erstmalig publizierte Urkunden und historisches wie zeitgenössisches Bildmaterial aus umfassend recherchierten Archiven in Hermannstadt, Gundelsheim sowie aus Privatbesitz fügen sich in den Text nahtlos ein und belegen eine über 280-jährige Geschichte der Landler in Siebenbürgen.

Es ist ein Verdienst der Autorin Dr. Irmgard Sedler, neben der auch der leitende Museumskurator Dr. Markus Lörz und Julia Koch, Mitarbeiterin des Siebenbürgischen Museums, als Autoren mitzeichnen, zudem Christa Wandschneider als Nachkommende einer bekannten Großpolder Landlerfamilie wichtige Dokumente beigesteuert hat, dass sie hier jahrzehntelange Erkenntnisse aus ihrer Feldforschung und den Archivstudien in Siebenbürgen und Österreich, aus dem Umgang mit der materiellen Kultur der Landler während der Zeit, als sie in Bad Goisern, Österreich, das Landlermuseum eingerichtet hat, zusammenführen konnte.

Der Hauptteil des Dokumentationsbandes stellt somit erstmalig die Spezifika der Lebensweise der Siebenbürger Landler mit ihren Ritualen im Gegensatz zur siebenbürgisch-sächsi­- schen Lebensweise und Kultur dar. Aus drei siebenbürgischen Gemeinden, Neppendorf, Großau und Großpold, in denen sich das „Landlerische“ bis in unsere Tage erhalten hat, werden mit repräsentativem Anschauungsmaterial Aspekte der protestantischen Lebensweise des Einzelnen und der Gemeinschaft anhand von Textilien mit bis ins feinste Detail ästhetischer Ausführung in Kleidung und überbordender textiler Raumgestaltung am Beispiel veranschaulicht, beschrieben, wissenschaftlich dokumentiert.
Wie das gesellschaftlich-politische Leben im ausgehenden 19. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart Familienschicksale prägte, diese wiederum den Lebensraum mitgestalteten, wird anhand von drei Generationen der Familie Rieger nachgezeichnet – vom Großpolder Bauernsohn bis zum siebenbürgischen Industriepionier, Gründer und Besitzer des bedeutenden Hermannstädter Rieger-Werkes, das, 1948 enteignet, in Staatsbesitz kam und als „Independenta“-Werke ein kommunistischer Vorzeigebetrieb wurde.

Das anschließende Abschlusskapitel „Kommunismus und Exodus“ endet mit der demografischen Dokumentation: „Heute (2017) leben in Neppendorf noch zusammengenommen über 100 Landler und Sachsen, 40 in Großau und ebenso viele in Großpold.“

Das im Nachhinein zur Ausstellung erschienene Begleitbuch ist wissenschaftliches Dokument und bildendes, anschauliches Lesebuch zugleich. Es ist durchgehend farbig bebildert und als hochwertig gebundene Ausgabe erschienen.

Karin Servatius-Speck


Irmgard Sedler, Markus Lörz, Julia Koch, unter Mitarbeit von Christa Wandschneider: „Das Wort sie sollen lassen stahn …“. Deportation im Habsburgerreich im Zeichen des Evangeliums. Dokumentation der Ausstellung im Siebenbürgischen Museum Gundelsheim. Brandes Verlag, Altenriet, 2019, 124 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 17 Euro, ISBN 978-3-9819701-7-3, zu bestellen über den Brandes Verlag (https://www.brandes-verlag.de/shop.php) oder im Museumsshop des Siebenbürgischen Museums Gundelsheim.

Schlagwörter: Katalog, Landler, Ausstellung, Siebenbürgisches Museum, Besprechung

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