21. Juni 2020

Augenzwinkernde Dokufiktion: Erzählung von Joachim Wittstock

Nach zwei Motti seiner literarischen Vorbilder Adalbert Stifter und Heimito von Doderer, mit denen man schon in die Forstwirtschaft und die Waldbeschreibung eingeführt wird, beginnt Joachim Wittstock seine schmalbändige Erzählung „Forstbetrieb Feltrinelli. Mythos und fragmentarischer Realitätsbestand“ mit einer Vorbemerkung. Darin erläutert er seine Mühe um Plausibilität beim Darstellen der Geschehnisse rund um die Firma Feltrinelli, denn um diesen von Italienern geführten und in Talmesch ansässigen Forstbetrieb, dessen Namen ein gewisser Nimbus umgab, geht es darin.
Für seine historisierende Erzählung, die mit der Zeitmarke 1961 beginnt (der ganze Band ist nach Zeitmarken strukturiert), wählt der Autor aber eine Hauptfigur, die sich als Lehrer Ahrnroder entpuppt. Neu eingestellt in Heltau, will er sich im Ort zurechtfinden und geschichtliche Hintergründe erforschen. In den Anmerkungen zum Schluss erklärt Wittstock: „Um zu mir selbst ein wenig Abstand zu gewinnen und das Reale bisweilen mit Fiktivem zu ergänzen, habe ich gelegentlich Pseudonyme verwendet, beispielswiese Ahrnroder“, der an einen Ahorn-Roder erinnern soll. So distanziert sich der Erzähler doppelt von der Geschichte, zunächst durch den Rahmen, die Vorbemerkung des Autors und die nachträglichen Anmerkungen, und dann durch die Hauptfigur, deren Erleben in der dritten Person geschildert wird. Zudem korrigiert sich der auktoriale Autor bisweilen sanft-ironisch, etwa wenn er schreibt: „Beim Überlesen dieser Zeilen merkt der Autor, er sei mit der Person, von deren Erleben er einiges mitteilen möchte, allzu streng ins Gericht gegangen.“ So lockert er das Geschichtliche leicht ironisch auf.
Ansonsten behandelt die Erzählung in verschiedenen Perspektiven und Rückblenden die Geschichte des Forstbetriebs. Da ist von einem Brand im Sommer 1944 die Rede, danach geht die Geschichte ins Jahr 1916 zurück, um ganz diplomatisch die damaligen kriegerischen Auseinandersetzungen zu schildern. Der nächste Teil der Erzählung greift vor ins Jahr 1970 und zu Harald Benning, dem Sohn des Generaldirektors der Sparkasse. In der Zeitmarke 1920 kommt dann der Vertreter der Firma Feltrinelli, Luigi di Brunello, zu Wort. Dabei arbeitet die Erzählung die Geschichte dieses von italienischer Hand geführten Forstbetriebs und Sägewerks in Talmesch ab, beschreibt die Gegend, das dortige Sanatorium, den Brunnen, ja selbst eine kleine Liebesgeschichte findet in der von Wittstock selbst als Dokufiktion bezeichneten Erzählung statt. Die Romanze zwischen Aglaia und Meinrad wird so zurückhaltend beschrieben, dass sie nur schwer herauszuschälen ist aus dem dokumentarischen Textgefüge: „Verlockung alles und Ungestüm – aber auch Trennendes“, heißt es.

Die Erzählung endet aktuell mit den Zeitmarken 2016/2017 und einem neuen Betrieb „von realistischer Biederkeit, ohne mythische Tiefe“. Joachim Wittstock entführt seine Leser in die nahe lokale Zeitgeschichte mit einer Mischform zwischen Literatur und Dokumentation. In dem ihm eigenen behutsamen und bedächtigen Stil geschrieben, klingt das Werk manchmal sehr zurückgenommen. Die sorgfältigen und distanzierten Formulierungen stimmen aber mit dem dokumentarischen Anspruch überein. Trotzdem lugt immer mal wieder ein Augenzwinkern hervor, etwa bei den kursiv gesetzten Einschüben des Autors. So hat Joachim Wittstock diesen historischen Stoff entstaubt und ansprechend aufbereitet.
Vom selben Autor erschienen ist eine Neuauflage seines bekannten Erzählbandes „Ascheregen“, den man wärmstens empfehlen kann.

Edith Ottschofski


Joachim Wittstock: „Forstbetrieb Feltrinelli“. Erzählung. hora Verlag, Hermannstadt, 2018, 108 Seiten, 9,90 Euro, ISBN 978-606-8399-16-4.

Joachim Wittstock: „Ascheregen“. Erzählungen. hora Verlag, Hermannstadt, 2018, 388 Seiten, 21,90 Euro, ISBN 978-606-8399-15-7.


Schlagwörter: Wittstock, Schriftsteller, Bücher, Vorstellung, Rezension, Hermannstadt, Talmesch, Literatur

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