Zum Heimgang der Organistin und Chorleiterin Ingeborg Acker
Trauerrede, gehalten von Christian Plajer, Stadtpfarrer der Evangelischen Kirche A.B. Kronstadt, am 16. Dezember 2024 im Rahmen der Beerdigung von Ingeborg Acker auf dem evangelischen Friedhof in Rosenau, in gekürzter Fassung.
n den Tagen des Abschieds von Ingeborg Acker, Mitte des Monats Dezember, gesellten sich einerseits Betroffenheit und Trauer um ihren Heimgang, andererseits die großen Hoffnungsbilder des Alten wie des Neuen Testamentes, die uns im Advent begleiten. Unter das Zeichen der Hoffnung dieser uralten biblischen Botschaften sei unser Gedenken an die Entschlafene, unser Schmerz und der Abschied von ihr gestellt.
Ingeborg Gerda Acker wurde am 1. April 1957 als zweites Kind des Ehepaars Walter Georg Gagesch und Erna Maria geb. Truetsch geboren. Musik war im Hause Gagesch eine Selbstverständlichkeit, ebenso wie in deren sächsischen, Rosenauer Umfeld, in dem Inge groß wurde. Der Vater war natürlich Mitglied der Blaskapelle, der „großen“, denn es gab daneben zusätzlich noch die „kleine“. Die Mutter sang im Chor – von denen es in Rosenau mehr als einen gab. Inges ältere Schwester Erika wie auch ihr jüngerer Bruder Volker erhielten ebenso eine musikalische Ausbildung wie Inge selbst – alle lernten Instrumente spielen. Für Inge war die Geige dran, die hohe Ansprüche an alle stellt, die sich damit auf den Weg machen. Tasteninstrument und Gesang waren bei Inge mit dabei, ganz zu schweigen von der Blockflöte. Eine ausgesprochene Begabung für Musik war wohl offensichtlich, so dass Inge sich nach dem Abitur an der Honterusschule im Jahr 1976 dazu entschloss, eine musikalische Laufbahn einzuschlagen. An der Kantorenschule wurde Inges stimmliches Potential entdeckt, das gezielt gefördert werden konnte und Inge schließlich zu einer hochkarätigen Alt-Solosängerin heranreifen ließ. Als solche trat sie später am liebsten in der Schwarzen Kirche auf, wo sie neben landesweit besten Solistinnen und Solisten die Alt-Solopartien der großen Oratorien sang, die damals in Kronstadt und Hermannstadt zu hören waren.
Zum Repertoire gehörte natürlich auch das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Es blieben die großen Highlights ihrer früheren musikalischen Karriere.
Mit ihrer Eheschließung Mitte der Achzigerjahre und der Geburt der beiden Kinder Petra und Michel sollte eine neue Ära beginnen. In dieser Zeit arbeitete sie an einem landeskirchlichen Auftrag, nämlich der Erstellung des Orgelbuches mit den Choralsätzen in Reinschrift für das neue Gesangbuch, dessen fünfzigjähriges Jubiläum wir 2024 feierten. Auch verfolgte Inge die musikalische Arbeit mit Kindern weiter und betätigte sich im Bereich der musikalischen Früherziehung, aber auch des Chorsingens mit Kindern und Jugendlichen, das mit zu den Schwerpunkten ihrer kirchlichen Anstellung gehörte. Ihre beiden Kinder bekamen die Musik gewissermaßen „mit der Muttermilch eingeflößt“.
Irgendwann, nach der Wende von 1989, keimte dieser Same; ein Pflänzchen enstand und begann zu wachsen – zunächst unscheinbar und kaum wahrgenommen im Sturm der Auswanderungswelle, die über die traditionellen Gemeinschaften hinwegfegte und Verwüstung hinterließ. Einem Wohnzimmer-Flötenkreis und dem Singen mit Schulkindern erwuchs 1994 „Canzonetta“ – ein Kinder- und Jugendensemble für Instrumental- und Chormusik.
Unter dem Dach des deutschen Forums und in Zusammenarbeit mit der Honterusschule wuchs das Pflänzchen „Canzonetta“ schnell heran, gedieh prächtig und trug bald schöne Früchte. Inge setzte nun doch, je länger je mehr, alles auf eine Karte – „Canzonetta“. Die Vielseitigkeit ihrer Begabung kam da ebenso zum Tragen wie die Offenheit für Neues, Spannendes und Grenzüberschreitendes. „Canzonetta“ wurde ihr Lebenswerk. Ehemann Dieter Acker stärkte Inge dabei nicht nur den Rücken, sondern trug nach Kräften dazu bei; ebenso ihre Kinder Petra und Michel, die bei den großen Aufführungen noch mit dabei waren, nachdem sie schon längst dem Schulalter entwachsen waren – auch im Hintergrund halfen und trugen sie viel mit.
Die Erfolgsgeschichte von „Canzonetta“ verdankt sich nicht nur dem außergewöhnlichen persönlichen Engagement von Inge Acker und sehr viel harter Arbeit, sondern gerade auch ihrer Vision: Der Vision des Zusammenbringens, könnte man sagen. Inge brachte in ihrem Lebenswerk Vieles zusammen: Neben dem Musizieren in der Familie und im Beruf, neben Singstimmen und Musikintrumenten diverser Art brachte Inge junge Menschen aus unterschiedlichen Traditionen und Kulturen zusammen; Inge brachte Musik und Pädagogik zusammen; sie brachte lockere Musik und verbindliches Einstudieren zusammen, Kultur, Bildung und den unschätzbaren Wert von Gemeinschaft, die möglich ist über so manche Grenzen hinweg – wer hätte das zuvor gedacht? –; Gemeinschaft, deren tragende Pfeiler Verbindlichkeit, gegenseitige Achtung und selbstloses Engagement sind – Nächstenliebe, wenn man so will. Die Erfolgsgeschichte von „Canzonetta“ ist bereits mehrfach gebührend gewürdigt worden, etwa anlässlich der Verleihung des Apollonia-Hirscher-Preises an Inge Acker im September 2022 (Ingeborg Acker wurde auch mit dem Siebenbürgisch-Sächsischen Jugendpreis 2011 beim Heimattag in Dinkelsbühl ausgezeichnet; Anmerkung der Redaktion).
Eine überwältigende Anzahl ehemaliger Mitglieder von „Canzonetta“ und viele andere Menschen haben auf die Todesnachricht in den sozialen Medien mit Trauer und Bestürzung, aber auch viel Dankbarkeit für das Empfangene reagiert. Pfarrerin Dr. Marion Werner schrieb: „Inge Acker war ein Segen, ein Geschenk“. Ein ehemaliges Mitglied von „Canzonetta“ teilte mit: „In tiefster Bestürzung gebe ich diese Nachricht weiter. Inge Acker ist heimgegangen zu unserem himmlischen Vater. Sie ist eine außergewöhnlich begabte Musikerin gewesen, die eine ganze Generation junger Menschen in Kronstadt geprägt hat. Sie hat uns gezeigt, wie viel man mit harter Arbeit erreichen kann; sie hat unseren musikalischen Horizont erweitert und uns gezeigt, was wir alles erreichen können. Ich bin so dankbar, dass ich bei ihr lernen konnte. Immer, wenn ich eine Flöte in die Hand nehme, denke ich auch an sie. Ich werde am Montag leider nicht anreisen können, aber ich werde um 14 Uhr rumänischer Zeit ein Fenster öffnen und mit meiner Flöte für sie spielen. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich auch andere, die nicht kommen können, mir anschließen, dass wir aus allen Ecken der Welt ihr Respekt erweisen. Möge Gott ihr gnädig sein. Möge Gott alle trösten, die um sie trauern, ganz besonders ihre Familie.“
So vielseitig und offen die Arbeit und die Einstellung von Inge Acker auch waren – entscheidend für ihr Selbstverständnis war und blieb die Kirche mit ihrer Verankerung in der sächsischen Kultur und Tradition. Unzählige Gottesdienste gestalteten wir gemeinsam, Inge und ich, als Gegenüber zwischen Orgel und Kanzel-Altar; vor allem in der Blumenauer Kirche. Es war nicht Inges Art, sich in Glaubensangelegenheiten zu äußern; meine Gewissheit jedoch ist, dass sie in den Gottesdiensten nicht nur „die Orgelbank drückte“, sondern dass sie sie innerlich mitvollzog und eine aufmerksame Predigthörerin war. Die Honterusgemeinde war und blieb nicht nur ihr ununterbrochener Arbeitgeber, sondern Kirche war und blieb eine selbstverständliche Grundlage für Leben und Wirken von Inge, sie gehörte einfach dazu.
Eine letzte Etappe im Leben von Ingeborg Acker begann sich irgendwann anzubahnen; es war mit Abstand die schwierigste. Sie schien darauf nicht vorbereitet zu sein und konnte dem, was auf sie zukam, offenbar kaum etwas entgegensetzen. Diese Zeit des Auseinanderbrechens erfasste die Familie; sie erfasste viele Freundschaften, die im Laufe der Jahre gewachsen waren. Sie erfasste Inge sehr hart auf beruflicher Ebene und, zuletzt dann, nicht weniger hart, auf der gesundheitlichen.
Die altersbedingte Pensionierung im Jahre 2017, nach 37 Arbeitsjahren, der ein neuer Arbeitsvertrag auf Zeit mit der Honterusgemeinde folgte, war Anlass für Veränderungen formeller Art. Nie stand im Raum, dass die Arbeit von Inge Acker zu einem Abschluss kommen solle; nie, dass „Canzonetta“ nicht weiter bestehen möge. Auf den Höhepunkt des 25-jährigen Jubiläums von „Canzonetta“ im Jahr 2019 folgte die Pandemie, ein Neubeginn danach kam – zu Inges, aber sicher auch Anderer Leidwesen – nicht mehr zustande.
Gott schenke ihr, Inge, seinen Frieden, und er schenke uns seinen Frieden – den Frieden, den die Welt nicht geben kann.
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