8. Dezember 2007

Massenauswanderung erregt noch immer die Gemüter

Die diesjährige Veranstaltungsreihe im Stuttgarter Haus der Heimat ging am 30. November mit der Filmvorführung „Mer wälle bleiwen, wat mer sen“ des siebenbürgischen Regisseurs Günter Czernetzky zu Ende. Dabei handelt es sich um ein unabgeschlossenes Filmprojekt, wie Kulturreferent Siegfried Habicher in seiner Begrüßungsrede anführte, so dass das Publikum in einer einstündigen Vorführung zu sehen bekam, was der in Schäßburg geborene Filmemacher binnen eines Jahres umgesetzt hatte. Neugierig war der Regisseur auf die Reaktionen der Zuschauer, da dieser Film beim Heimattag 2008 in Dinkelsbühl gezeigt werden soll.
Czernetzky betonte die Zielsetzung seines Projekts: die Dokumentation der Neuansiedlung von ausgewanderten Siebenbürger Sachsen in Österreich, in der Bundesrepublik und in Übersee von den Anfängen (1945) bis in die Gegenwart. Aus der Fülle des Filmmaterials ließ der Regisseur an diesem Abend Zeitzeugen zu Wort kommen, die sich mit der Chronologie der Auswanderung in den ersten drei Jahrzehnten beschäftigten. Hilfreich war, dass die Filmabschnitte durch Überschriften und Filmsequenzen von Heimattagen und Treffen unterteilt wurden.

Die Berichte der Zeitzeugen zeigten, wie die ausgewanderten Siebenbürger Sachsen zunächst kleine kulturelle Zentren und Zellen bildeten, die sich untereinander vernetzten. Daraus gingen dann Landsmannschaft, Sozialwerk und Hilfskomitee hervor. So erzählten Siebenbürger Sachsen, die es in den Kriegswirren nach Österreich verschlagen hatte, und die dort in menschenunwürdigen Verhältnissen lebten, von der Bergbauaktion im Ruhrgebiet und der Umsiedlung nach Nordrhein-Westfalen. Durch das siebenbürgische Fest in der Rheinhalle in Düsseldorf (1955) wurde die einheimische Bevölkerung auf das reiche Brauchtum der Sachsen aufmerksam, so dass die damalige SPD-Landesregierung die Patenschaft für die ausgewanderten Siebenbürger Sachsen übernahm.

Gegensätzliche Positionen in der Frage der Auswanderung

Immer wieder kreist der Film um das Auswanderungsthema und versucht das Für und Wider verständlich zu machen. In den Beiträgen der Protagonisten (in der Endfassung des Filmes mit Namen versehen) traten die verschiedenen Ansatzpunkte und die gegensätzliche Positionen zwischen der Landsmannschaft und dem Hilfskomitee in der Frage der Auswanderung bzw. der Familienzusammenführung der Siebenbürger Sachsen hervor.

Ein Minister aus der nordrhein-westfälischen Regierung schilderte, wie es zum „Abkauf“ von ausreisewilligen Siebenbürgern aus der unfreien Heimat gekommen war.

Familienzusammenführung brachte Lawine ins Rollen

An die Filmvorführung schloss sich eine lebhafte Diskussion an. Angesichts des „doppelten Freikaufs“ von Siebenbürger Sachsen aus Rumänien sprach ein Teilnehmer von „Menschenhandel auf höchster Ebene“, da auch die jeweilige bundesdeutsche Regierung ein Interesse am Zuzug von Deutschen aus Osteuropa hatte. Einige Besucher meinten, der Film müsse die Ursachen der Auswanderung deutlicher ansprechen, etwa die Deportation in die Sowjetunion und andere Repressalien gegenüber der deutschen Minderheit durch die rumänischen kommunistischen Machthaber nach Kriegsende. Beim Austausch über die Gründe der Auswanderung war der persönliche, existentielle Bezug der Teilnehmer deutlich zu spüren. Viel „Herzblut“ war im Spiel, so dass manche der Stellungnahmen eine emotionale Note erhielt.

Bei der Ursachenforschung, wieso es zur massenhaften Auswanderung der Siebenbürger Sachsen kommen konnte, zeigte sich meines Erachtens die schicksalhafte, ja tragische Dimension der Fragestellung, denn schon durch die humanitäre Familienzusammenführung kam eine Lawine ins Rollen, die später von niemandem aufgehalten werden konnte und schließlich zum Massenexodus führte. Deutlich war zu beobachten, dass beim Auswanderungsthema die geschichtlich-politischen Verstrickungen der Siebenbürger Sachsen eine zentrale Rolle spielen (2. Weltkrieg mit seinen verheerenden Folgen, kommunistische Repressalien). In allen Stellungnahmen kamen daher die bekannten Antworten, Erklärungen und Schuldzuweisungen vor.

Äußere Ereignisse und innere Haltung

Die äußeren politischen Geschehnisse waren zweifellos von großer Bedeutung, doch sollte auch thematisiert werden, welchen eigenen Anteil unser Volk an dieser Entwicklung hatte. Die eigene Verantwortung der Siebenbürger Sachsen sollte deutlicher angesprochen werden. Der drohende Untergang unserer siebenbürgischen Gemeinschaft durch den kollektiven Exodus ist das Ergebnis des Zusammenspiels von äußeren Ereignissen und der inneren Haltung unseres Volkes. Unsere Identität als Siebenbürger Sachsen war über 850 Jahre eng mit der Heimat in Siebenbürgen verbunden. Es ist völlig illusorisch zu glauben, dass wir Sachsen hier in Deutschland „bleiben, was wir sind“! In einer neuen Umgebung und in einer anderen Gesellschaft gibt es andere Fragestellungen, andere Herausforderungen. Ihre Zukunft wird anders aussehen als die Vergangenheit, da wir nicht mehr in Siebenbürgen leben.

In seiner Schlussrede verwies Günter Czernetzky auf frühere Produktionen von ihm, die andere Aspekte der Situation der Siebenbürger Sachsen im und nach dem 2. Weltkrieg dokumentieren, wie z. B. „Donbass-Sklaven. Verschleppte Deutsche erinnern sich“, „Stalingrad an der Donau“, „Die Russen kommen“, „Wunden – Erzählungen aus Transsilvanien“. Auch mit seinem aktuellen Projekt versucht der Regisseur alle Generationen zu erreichen und neue Informationen und Einsichten weiterzugeben. Für seinen Dokumentarfilm „Wir wollen bleiben, was wir sind“ bittet Herr Czernetzky weiterhin um die Mithilfe der Zeitzeugen. Jede Hilfestellung und Anregung ist erwünscht. Günter Czernetzky ist telefonisch erreichbar unter: (01 79) 1 17 64 56.

Helmut Wolff

Schlagwörter: Film, Aussiedlung, Integration

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