17. Juni 2009

Diethelm Wonners Kunstfahnen bei Osiander in Heilbronn

Keine Buchhandlung ohne Dichterköpfe! Diese stecken meistens zwischen zwei mehr oder weniger attraktiv gestalteten Deckeln. Man sieht sie, wenn man sich bückt und blättert. Bei Osiander in Heilbronn ist das anders: Dort heben sie sich schwebend aus den von Diethelm Wonner gemalten Bildern und aus den kalligraphisch gestalteten Texten, schweben die Wände entlang und breiten sich in dem „Himmel“ des Raumes aus. Sie begrüßen den Betrachter, gleichzeitig als jung und alt (Brecht), lässig häuslich und verhüllt im Mantel über die Straße wandelnd (Dürrenmatt), die Geliebte in Rom anrufend und herbeisehnend (Frisch und Bachmann), aus dem gebrochenen Rahmen der Biographie sich herausängstigend (Kafka), die Ratte und den Butt - wie Athene aus dem Kopfe des Zeus - aus dem eigenen Kopfe gebärend (Grass) ... Die Ausstellung „Wechselspiel“ war in der Buchhandlung Osiander in Heilbronn (Fleiner Straße 3) bis zum 14. Juni zu sehen.
Das könnte Malerei vom spannendsten sein, aber es ist mehr! Jedes Blatt bringt nicht nur den Dichter(kopf), es bringt auch einen Text! Nein, nicht irgendeinen! Den zu der Zeichnung passenden! Durch Kafkas Angst hindurch kriecht im alten Prag der literaturgewordene Käfer und fällt auf den Rücken, hilflos die Beinchen in die Höhe streckend, Hermann Hesses Kopf - beinahe ganz verdeckt von dem Schlapphut - wandert durch Harry Hallers „Magisches Kabinett“, dessen Farben im Gesicht spiegelnd, und Heinrich Böll liest für seine Enkelin das Gedicht von der Reihe, in die wir hineingeboren, ohne Pathos vor dem Hintergrund der herabfallenden Bomben. Brecht rollt - vielgestaltig mit der allbekannten Helene Weigel-Mutter Courage - durch das zerstörte Berlin und „dichtet“ den Frieden des neuen Zeitalters, der an dünnen Fäden in Form eines zerschnippselten Gedichts vor dem Porträt des Dichters von der Decke schwebt. Bukowski sieht aus dem Untergrund der Literatur und der Welt mit einem äußerst gelungenen, markanten Gesicht schräg nach unten zu den eben leer getrunkenen Flaschen und den zusammengeknüllten Versuchen seiner Dichtkunst. Nein, er hebt sich nicht an die Decke. Er bleibt am Bodenständigen haften. Das sagt uns die klare Abgrenzung des Bildes und vor allem die Farbe: ockerirden. Sogar der Fleck auf seiner Seele ist dort unten zu sehen.
Diethelm Wonners „Franz Kafka“, ausgestellt in ...
Diethelm Wonners „Franz Kafka“, ausgestellt in der Buchhandlung Osiander in Heilbronn.
Dies sollte schon zu einem Besuch verlocken, doch deutlicher wird all das in der Konfrontation der Ausstellung: Der aus Schirkanyen stammende Graphiker und Künstler Diethelm Wonner entdeckte vor drei Jahren in Heilbronn den jungen Künstler Stefan Dittrich, wurde sein Mentor und wagt nun die erste gemeinsame Ausstellung: So kommt es, dass jedes Dichterporträt ein zweites Mal zu sehen ist. Dittrich malt in starken Farben. Die Köpfe haften an der Wand und schauen durch den Betrachter hindurch ins Leere.

Der Kontrast zu Wonners lebendig-leichten, schwebenden, den Betrachter in die Welt der Poesie entführenden Bilder könnte kaum größer sein ...

Nach der Ausstellung „Wechselspiel“ veranstaltet Wonner mit den angehenden Graphik-Designern der Schule für Gestaltung und deren Lehrer in der Galerie der besonders kunstinteressierten Heilbronner Buchhandlung Osiander eine Ausstellung mit Typographie und Gestaltungsarbeiten.

Freya Klein

Schlagwörter: Kunst, Ausstellung

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