19. Juli 2009

Schlattners Erbe bleibt in Hermannstadt

Eginald Schlattner ist nicht nur eine der bekanntesten siebenbürgischen Persönlichkeiten, sondern auch eine der umstrittensten. Seine Lebensdokumente überlässt er dem Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A.B. (ZAEKR) in Hermannstadt – das steht bereits fest. Aufgrund eines Depositalvertrags aus dem Jahr 2004 hat er den Großteil seiner Dokumente und Aufzeichnungen dem Archiv im Teutsch-Haus bereits übergeben. Die junge Literaturwissenschaftlerin Michaela Nowotnick erarbeitete eine umfassende Übersicht des wissenschaftlich interessanten Materials.
Bereits seit 2005 übernimmt das Archiv sukzessive alle Arten von Dokumenten aus dem Besitz des Rothberger Pfarrers. Es ist ein Glücksfall, dass Schlattners Materialien und Aufzeichnungen in Siebenbürgen geblieben sind. Auch das Deutsche Literaturarchiv Marbach, eines der wichtigsten deutschen Literaturarchive, war an ihnen interessiert. Doch Schlattner wollte seine persönlichen Lebensschätze nicht fernab der Heimat wissen.

Die eigentlich Erschließungsarbeit führte Nowotnick zwischen September 2008 und Februar dieses Jahres durch. Insgesamt 4,70 laufende Meter an Materialien aus der Zeit von 1952 bis 2008 hat die 28-jährige Literaturwissenschaftlerin erschlossen. Der Bestand enthält Korrespondenzen, Manu- und Typoskripte, Materialien und Zeitungsartikel der theologischen und schriftstellerischen Arbeit Eginald Schlattners sowie private Korrespondenzen und Materialien, wie Fotografien und Diapositive. Gefördert wurde diese Arbeit durch Projektgelder des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Ziel ist es, den kompletten Vorlass zu verzeichnen und ihn für die künftige Forschung zugänglich zu machen.
Michalea Nowotnick erschloss den Vorlass von ...
Michalea Nowotnick erschloss den Vorlass von Eginald Schlattner. Foto: Holger Wermke
Wichtig bei einer solchen Arbeit sei das Vertrauensverhältnis zu dem Vorlassgeber, erzählt Nowotnick. Schließlich gehen zum Teil sehr private Aufzeichnungen durch ihre Hände. Die erste Begegnung mit Schlattner hatte sie 2005 bei einer Lesung in Berlin, als der Autor seinen Roman „Das Klavier im Nebel“ vorstellte. Dem Gespräch in der Bibliothek in Weißensee sollten noch viele weitere folgen, vor allem in Schlattners Haus in Rothberg. Es ist ein glücklicher Umstand, dass sie den Vorlassgeber noch zu Lebzeiten befragen kann. Zahllose Kisten mit Briefen, Manuskripten und Zeitungsausschnitten hat sie während ihrer Aufenthalte in Siebenbürgen durchgearbeitet. Und immer wieder stieß Nowotnick auf lückenhafte Dokumente, unleserliche Namen oder unklare Zusammenhänge. Mindestens einmal in der Woche fuhr sie deshalb zu ihm hinaus. „Schlattner ist sehr kooperativ und nahm sich immer viel Zeit, wenn ich wieder einmal mit meinem Fragenkatalog zu ihm kam“, berichtet sie.

Nicht wenige Menschen wollen von ihr wissen, warum sie sich ausgerechnet mit Schlattner beschäftige. Aus wissenschaftlichem Interesse, lautet ihre Antwort. Michaela Nowotnick denkt, es sei von Vorteil, dass sie als Unbeteiligte die Materialien des Gefängnispfarrers und Theologen aufarbeitet. Sie könne so unbefangen mit den Dokumenten umgehen. In ihren Augen ist die Person Schlattner als Siebenbürger Sachse, Pfarrer, Schriftsteller und Kulturbotschafter Rumäniens von Relevanz und die gesammelten Materialien aus seinem Fundus bergen teilweise einzigartige Kostbarkeiten. Darunter sind Korrespondenzen mit dem ehemaligen Staatsverlag, die Einblicke in die publizistische Arbeit der 1950-er Jahre geben, Briefwechsel mit ausgewanderten Sachsen während der kommunistischen Ära, Schlattners letzte Predigten vor dem Exodus seiner Gemeinde oder Aufzeichnungen aus seiner Zeit als Gefängnispfarrer.

All diese Dokumente geben Nowotnick zufolge wichtige Aufschlüsse über das Leben der Siebenbürger Sachsen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, zumal sich die entsprechenden Dokumente in einem Archiv vor Ort befinden. Dadurch rückt auch das ZAEKR stärker ins öffentliche Bewusstsein. So bearbeitet der Autor Joachim Wittstock derzeit ebenfalls einen Nachlass, der an das Archiv übergeben wird. Interessant werden die Informationen später einmal für Forscher aus vielen Bereichen sein, für Historiker, Theologen, Literaturwissenschaftler und andere. „Ich versuche, das Leben eines Sachsen einmal komplett zu dokumentieren“, formuliert sie ihr erklärtes Ziel. So könne ein wichtiger Impuls zur Erforschung einer untergehenden Kultur mit gesamteuropäischen Interesse gesetzt werden.

Entstanden ist bislang ein Findbuch aller gesichteten Unterlagen. Noch nicht ausgewertet wurden die elektronischen Datenträger. Gern möchte Nowotnick die Arbeit fortsetzen, weshalb sie im Augenblick neue Anträge stellt. Denn die Bestandsaufnahme ist nicht abgeschlossen, da sich Teile des Vorlasses noch bei Schlattner befinden beziehungsweise der Bestand von ihm weitergeführt wird.

Holger Wermke

Schlagwörter: Literatur, Schlattner, Kirche und Heimat

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