4. Dezember 2009

Von Leid und Leidenschaften: „Blumenkind“ von Claus Stephani

Nach dem frühen Band „Manchmal im Ostwind“, Bukarest 1977, ist dieses nun sein zweiter Ro­man. Denn in den letzten Jahrzehnten hat Claus Stephani mehrheitlich Kurzgeschichten, Lyrik, zahlreiche eigene Sammlungen mit Oral History, Märchen und Sagen sowie kunstgeschichtliche und wissenschaftliche Werke veröffentlicht. Diese wurden zum Teil bereits in mehrere Sprachen übersetzt und sind auch in Italien, Rumänien, Ungarn, Polen, Dänemark, Israel, Ma­zedonien, Russland und in den USA erschienen.
Nun hat Stephani zum ersten Mal versucht, seine Erfahrungen und Aufzeichnungen als Volkskundler und Mythenforscher kreativ zu verwenden und gestalterisch zu verarbeiten. Vor seiner Ausreise aus Rumänien war er oft mit dem Tonbandgerät unterwegs, um Erzählungen und Lebensberichte „aus dem Volksmund“ aufzuzeichnen. In seinem neuen Roman führt er uns in unbekannte Landschaften, „die fernab liegen von den Regionen, die unserem zentraleuropäischen Kultur- und Geschichtsbewusstsein bislang zugänglich waren“, schreibt Ernest Wichner in der Literarischen Welt, der Beilage von Die Welt, wo das „Blumenkind“ im September als das „Buch der Woche“ präsentiert wurde. „Hierin, und vor allem in den – verstärkt in den Anfangs­kapiteln eingestreuten – ethnografischen Mittei­lungen des Autors liegt die Stärke dieses Buches.“

Der in Baldham bei München lebende Schrift­steller bringt in seinem „jüngsten literarischen Kind“, dem „Blumenkind“ – so der Titel des Ro­mans, der vor kurzem im SchirmerGraf Verlag, München, erschienen ist – zum ersten Mal ein weitgespanntes farbiges Fresko von Menschen, Lebensgeschichten, historischen Ereignissen und wenig bekannten Landschaften Rumäniens. Als Ethnologe und passionierter Sammler siebenbürgisch-sächsischer, sathmarschwäbischer, zip­serischer und ostjüdischer Märchen und Sagen siedelt Stephani die Handlung seines Romans in sagenumwobenen Gegenden am Rande der Kar­paten an – in der Moldau, in Siebenbürgen, Mar­matien (Maramuresch) und in der Bukowina –, in Landschaften also, die geprägt sind vom Zu­sammenleben unterschiedlicher Ethnien und von deren alten Traditionen und Mythen.

So treten in seinem Buch neben der Haupthel­din Beila Altmann, geborene Wagner, immer wie­der Siebenbürger und Zipser Sachsen, Juden, Rumänen, Zigeuner, Ungarn, Ruthenen sowie Vertreter anderer Bevölkerungsgruppen des Kar­patenraumes auf, die einst am östlichen Rande Mitteleuropas lebten. Von ihrer Weisheit und Grausamkeit, ihren Festen und Bräuchen, von ihrem Leid und ihrer Liebe erfährt der Leser und von den verschlungenen Wegen des Schicksals, von Handlungen und Begebenheiten, die, wie der Autor einleitend sagt, auf Tatsachen beruhen.

Denn das, was Claus Stephani nach jahrelangen Recherchen hier bildhaft und in einer fließend schönen Sprache erzählt, stammt aus einer vergangenen Realität und ist gleichzeitig „ein Roman wie ein Märchen, ebenso schön wie grau­sam“ (Tanja Graf). Als Beila ihren Mann an „die Wölfe mit menschlichem Angesicht“ verliert, muss sie ihr geliebtes Dorf Arvinitza verlassen. Denn: „Eine junge Frau ohne Mann gehört niemandem, und dann manchmal auch allen. Das ist ihr Schicksal …“

So beginnt eine lebenslange Wanderung; es folgen Jahre der Entbehrung, aber auch Begeg­nungen großer Leidenschaftlichkeit. Und so er­lebt der Leser spannende, aufregende Liebesge­schichten voller Sinnlichkeit und Vitalität. Über 40 Jahre hinweg, von Mitte der 1920er bis Mitte der 1960er Jahre, verfolgt Stephani die Lebens­wege seiner Protagonisten. Erst den der Beila, dann den ihrer Tochter Maria. Das Leben der beiden Frauen ist vom Wechsel der Wohnorte geprägt, der immer auch ein Wechsel des Schicksals ist, wie es in einem thalmudischen Motto zum Roman heißt.
Claus Stephani bei einer Lesung in Weilheim. Am ...
Claus Stephani bei einer Lesung in Weilheim. Am 1. Dezember um 19 Uhr liest er in München, Halle des Jüdischen Museums und der Literaturhandlung, Jakobsplatz 18. Foto: Roland Bosch
So zieht Beila nach dem Tod ihres Ehemannes Jacob in die Nähe von Czernowitz, in das Dörf­chen Klinitz am Pruth, wo Juden, Schwaben, Rumänen, Ruthenen u. a. beisammen leben. Einen Sommer lang gibt sie sich dort ihrer „wilden Liebe“ zu einem jungen Deutschen hin, dann bleibt sie schwanger. „Copil din flori“ nennen die Rumänen ein solches Kind, das heißt Blu­menkind. Dieses Kind der Liebe, auf einer Blu­menwiese gezeugt, ist zugleich auch ein Ban­kert. Denn der Geliebte verlässt Beila, als er zum rumänischen Wehrdienst eingezogen wird. Und er diffamiert sie auch: Die rothaarige Jüdin habe es mit jedem im Dorf getrieben, eine Hure sei sie. Nach zwei Jahren sozialer Ausgrenzung zieht Beila wieder fort. Sie verbirgt ihre Her­kunft und kommt mit ihrer Tochter Maria als Haushälterin bei einem Pater unter. Um seinen Zudringlichkeiten zu entgehen, müssen sich Mutter und Kind erneut auf den Weg machen. Dabei hilft ihnen Marica, eine Zigeunerin und Wahrsagerin im Ort. Danach lernen sie zufällig in der Gemeinde Schantz eine Sächsin kennen, die sie gastfreundlich bei sich aufnimmt.

Inzwischen ist der Zweite Weltkrieg ausgebro­chen. Eines Tages verschwindet Beila spurlos für immer. Bald folgen Flucht und Vertreibung der Karpatendeutschen und mit ihnen auch der Zipser Sachsen. Zwanzig Jahre später kehrt ihre Tochter, die es nach Bayern verschlagen hatte, in die alte Heimat zurück. Stückchenweise re­konstruiert sie Details des Geschehens von da­mals. Stephani erzählt dann Marias Geschichte parallel zu der ihrer Mutter. Der Leser ist den handelnden Figuren meistens ein Stückchen vor­aus – Freude und Schauder über das Wirken von Schicksalskräften aber erlebt er wie aus nächster Nähe.

„Das Buch ist eine Liebeserklärung an eine ge­schichtlich enorm belastete Region, deren Ver­letzungen und Schönheiten faszinieren“, schrieb die Literaturkritikerin Anne Goebel in der Süd­deutschen Zeitung vom 28. August 2009 über das „Blumenkind“. Denn „von München aus ge­sehen ist die Maramuresch ungefähr so weit weg wie der Mond und von Rumäniens Hauptstadt Bukarest ebenfalls. Ein ferner Landstrich, ein Ort ohne Veränderungen, ein geschlossener Kos­mos. So etwas weckt Sehnsüchte, und Claus Ste­phani zum Beispiel hat dort eine Art imaginäres Zuhause gefunden. Die schweigsame Karpaten­landschaft ist ein Traumbild von einer intakten Welt, die ihm vertraut erscheint und doch unerreichbar, weil ihre Zeit abläuft. Das war in Bu­karest so und ist jetzt in Deutschland genauso. Und der Roman, den der rumäniendeutsche Mün­chener Stephani aus seiner Sehnsucht gemacht hat, bezieht gerade daraus seine besondere Kraft.“ Das Buch sei eine sensible und tiefempfundene „Hommage an eine Vielfalt, die seit dem Aufkommen des Faschismus sukzessive zerstört wurde und nun untergeht“.

„Claus Stephani hat einen hinreißenden Lie­besroman geschrieben und zugleich eine lehrreiche Erzählung über die Geschichte des 20. Jahrhunderts“, so Carsten Hueck im Kulturfeuil­leton von Deutschlandradio NDR. „Seine detailreiche, liebevolle Beschreibung von Architektur, Landschaft, Speisen und Gebräuchen, von All­tagsleben und Empfindungswelt seiner Figuren, macht schmerzhaft bewusst, wie viel menschliche und kulturelle Substanz verloren ging durch Kriegswirren, Völkermord und ethnische Säube­rungen. ‚Blumenkind‘ ist geprägt von Lebenser­fahrung, Wissen und Poesie.“

Der Roman „Blumenkind“ von Claus Stephani, in schöner graphischer Gestaltung von Paul Bar­nes (London), nun schon in der zweiten Auflage, erschien im internationalen Angebot des Schir­merGraf Verlags, München, als Spitzentitel im Herbst 2009. Zur gleichen Zeit wurden auch Titel von Coco Chanel, Romain Gary, Ma Jian, Qian Zhongshu und Frida Kahlo lanciert.

Angela Maria Popa



Claus Stephani: „Blumenkind“. Roman, Schir­merGraf Verlag, München, 2009, 352 Seiten, 19,80 Euro, ISBN 978-3-86555-067-5, kann in jeder Buchhandlung erworben oder bestellt werden.
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Schlagwörter: Rezension, Lesung, Stephani

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