12. Januar 2021

Rumäniens neue Regierung

Rumänien hat seit kurz vor Weihnachten eine neue Regierung: Am 23. Dezember 2020 erhielt der liberale Premierminister Florin Cîțu, vormals Finanzminister, mit 260 Für- und 186 Gegenstimmen das Vertrauensvotum des Parlaments. Die Regierung wurde am selben Abend vereidigt. Entscheidend für die neue Koalition aus Nationalliberaler Partei PNL, Allianz USR-PLUS und dem Ungarnverband UDMR waren die Stimmen der 18 Minderheitenabgeordneten. Die Koalitionsparteien verfügen zusammen über 244 von 466 Abgeordneten und Senatoren.
Auf der Oppositionsbank sitzen die sozialdemokratische PSD, mit 29 Prozent der Stimmen vor der PNL (25 Prozent) und der USR-PLUS (15 Prozent) eigentlicher Gewinner der Parlamentswahlen am 6. Dezember; doch war von Anfang an klar, dass die PSD keinen Koalitionspartner finden würde. Die neu auf den Plan getretene rechtsorientierte „Allianz für die Vereinigung der Rumänen“ AUR, die mit 9 Prozent ins Parlament einzog und ihren Erfolg hauptsächlich den Diaspora-Stimmen verdankt, hat von Anfang an erklärt, sich nicht an der Regierungsbildung beteiligen zu wollen. An der Fünfprozenthürde gescheitert sind die Parteien zweier ehemaliger Ministerpräsidenten, Pro România von Victor Ponta und ALDE von Călin Popescu-Tăriceanu, sowie die von Ex-Staatspräsident Traian Băsescu gegründete Volkspartei PMP.
Staatspräsident Klaus Johannis vereidigte die ...
Staatspräsident Klaus Johannis vereidigte die neue Regierung von Premierminister Florin Cîțu am 23. Dezember 2020 im Schloss Cotroceni. Foto: Rumänisches Präsidialamt (www.presidency.ro)
Die PNL erzielte ein schwächeres Ergebnis als erwartet. Schuld daran ist wohl auch die schwache Wahlbeteiligung, die mit nur 31,84 Prozent ein absolutes Rekordtief seit 1990 erreichte. Nur knapp 5,7 Millionen von den etwas über 18 Millionen stimmberechtigten Rumänen machten von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Damit ist Rumänien Schlusslicht im europäischen Vergleich bei Parlamentswahlen. Die Wahl wurde hauptsächlich von der Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen entschieden. Die 18- bis 34-Jährigen sind zu knapp 75 Prozent den Wahlurnen ferngeblieben. Dies steht der These entgegen, die Pandemie habe zu dem schlechten Ergebnis für die PNL geführt. Umfragen zufolge waren es die – eher als PSD-Wähler geltenden – Senioren, deren Fernbleiben von den Wahllokalen aus Angst vor Ansteckung befürchtet wurde.

Schwierige Koalitionsbildung

Nach dem spektakulären Rücktritt von Ludovic Orban als Premierminister direkt nach den Wahlen gestalteten sich die Koalitionsverhandlungen schwierig. Die PNL musste drei Ziele durchsetzen: einen neuen Premierminister finden, ein hohes Amt für Orban erzielen, sowie dem Anspruch von Staatspräsident Klaus Johannis nachkommen, der das Außen- und Verteidigungsministerium in seinem Sinne besetzen wollte. Vor diesem Hintergrund seien Flexibilität und Durchsetzungskraft der PNL eingeschränkt gewesen, schlussfolgert Martin Sieg im Länderbericht der Konrad Adenauer Stiftung. Die Wahl von Florin Cîțu als Nachfolger für Orban sei plausibel gewesen, schreibt er ferner, und zudem ein Signal für Kontinuität. Cîțu habe sich als Finanzminister bewährt und sei „nicht zufällig schon nach einem Misstrauensvotum im Frühjahr als Premierminister gehandelt worden“. Johannis habe seinen Einfluss sowohl auf die PNL, als auch auf die Regierung gestärkt. Das „komplexe Nebeneinander mehrerer Machtpole“ könne jedoch künftig Verhandlungen und ressortübergreifende Entscheidungen erschweren, was Fragen hinsichtlich der Umsetzbarkeit langfristiger und strategischer Investitions- und Reformvorhaben aufwirft.

Das erklärte Ziel des designierten Premiers Cîțu war, rasch eine Regierung auf die Beine zu stellen, um in Anbetracht der Pandemie handlungsfähig zu sein. Das Postenschachern vor allem zwischen PNL und USR-PLUS um die Besetzung der Leitung der Abgeordnetenkammer, die sowohl Orban als auch Barna für sich beanspruchten, beendete die Einführung von zwei Vizepremierministern, die Ämter besetzen Dan Barna (USR-PLUS) und Hunor Kelemen (UDMR). Von den Ministerien vereint die PNL zwölf, darunter auch die von Johannis gewünschten mit Nicolae Ciucă als Verteidigungsminister und Bogdan Aurescu als Außenminister. USR-PLUS erhielt sechs Ressorts, der UDMR drei. Die Leitung der Abgeordnetenkammer fiel auf Ludovic Orban, die des Senats auf Anca Dragu (USR-PLUS) als erste Frau in diesem Amt. Innerhalb der PNL wurde Kritik geübt, dass wichtige Ressorts an USR-PLUS und UDMR abgetreten werden mussten: Justiz, Verkehr, Wirtschaft und Gesundheit gingen an die USR-PLUS, Regionalentwicklung und EU-Fonds an den UDMR.

Wer ist AUR?

Die Fragen, die sich nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses zuerst aufdrängten, waren: Wer ist AUR? Was will diese Partei? Aber auch, wie diese bisher fast unbekannte Rechtsaußen-Partei ein so hohes Ergebnis erzielen konnte. AUR bezeichnet sich selbst als rechtsorientiert, konservativ, christlich, antimarxistisch, unionistisch und „anti-system“. Massive Unterstützung kam aus der Diaspora: In Italien und Zypern gewann AUR über 36 Prozent der Stimmen und lag auf Platz 1, in Frankreich und Spanien mit rund 26 Prozent auf Platz 2.

Die Ko-Leiter von AUR sind George Simion und Claudiu Târziu. Ersterer ist als langjähriger Anführer der Bewegung „Bessarabien ist Rumänien“ und Gründer der „Aktion 2012“ bekannt, die das Ziel einer Wiedervereinigung der Republik Moldau mit Rumänien verfolgt. Letzterer hat sich im Rahmen des Verfassungsreferendums zur Neudefinition des Begriffs „Familie“ gegen die gleichgeschlechtliche Ehe eingesetzt. Darüber hinaus macht AUR massiv gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie mobil. Lautstarke Medienpräsenz verschaffte sich in diesem Sinne AUR-Senatorin Diana Șoșoacă durch aggressives Auftreten gegen die Maskenpflicht. Șoșoacă ist auch Anwältin des orthodoxen Erzbischofs Teodosie von Tomis, der als Regelbrecher in Sachen Pandemiebekämpfung mehrmals für Aufsehen sorgte. Suggeriert der Wahlerfolg von AUR mehr Rechtsdruck auf Rumänien? „Einige Kommentatoren, wie Cornel Ban von der Kopenhagener Business School, sehen nun eine Chance für die PSD, sich neu zu orientieren und ein ernsthaft sozial-demokratisches Programm aufzulegen“, schreibt dazu der Politikwissenschaftler und Lektor an der Universität Bukarest, Henry P. Rammelt, in der österreichischen Tageszeitung Der Standard. „Es erscheint allerdings mindestens ebenso wahrscheinlich, dass alle etablierten Parteien ihre Basis weiter nach rechts, weiter zu konservativer Rhetorik verlagern werden“, meint Rammelt.

Vorsichtige Anzeichen dafür, dass sich die Gesinnung von AUR gegen die nationalen Minderheiten richten könnte, gab es direkt nach der Wahl: Nach einem verbalen Konflikt mit dem UDMR-Vorsitzenden Hunor Kelemen kündigte George Simion an, man wolle sich durch eine nationale Kampagne für eine Verfassungsänderung einsetzen, die politische Formationen (wie den UDMR) auf ethnischer Basis aus der Legislative ausschließe. Allerdings räumte er ein, die ungarische Minderheit zu respektieren, AUR hätte eigene Vertreter der ungarischen Minderheit im Parlament. In der Kommunikation mit den Medien vermeidet Simion geschickt extremistische Aussagen. Andererseits finden sich auf der Parteiliste und im Unterstützungsumfeld von AUR auch Persönlichkeiten, die nicht davor zurückschrecken, antisemitische, rassistische oder xenophobe Ressentiments zu bedienen. Was den unerwarteten Wahlerfolg betrifft, dürfte die Pandemie der Wahlkampagne von AUR, die fast ausschließlich im Internet stattfand, stark in die Hände gespielt haben.

Wie stabil ist die neue Regierung?

In der Banater Zeitung erklärt der wiedergewählte Parlamentarier des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) Ovidiu Ganț, der auch an den Verhandlungen zur Regierungsbildung teilgenommen hatte, die mit 260 Stimmen gewählte Regierung als „stabil, wenn man bedenkt, dass nur 234 Stimmen nötig sind, um die Regierung im Amt zu behalten“. In der Abgeordnetenkammer habe die Koalition 169 Stimmen, 166 seien für organische Gesetze erforderlich; „lebenswichtig“ seien in diesem Sinne die 18 Stimmen der Minderheitenfraktion. Als bedenklich bezeichnete Ganț die Ankündigung von Senatspräsidentin Anca Dragu, die Einführung eines Einkammerparlaments mit 300 Parlamentariern vorantreiben zu wollen. Eine solche Reform könne bedeuten, dass die parlamentarische Vertretung für Minderheiten in Gefahr sei. „18 von 300 werden die Parteien nie genehmigen“, befürchtet Ganț. Innerhalb der Koalition gebe es gravierende Unterschiede bezüglich wichtiger Themen, warnt der Parlamentarier weiter. Ein Beispiel sei der Mindestlohn. Die Minderheitenfraktion sei sich bereits einig, keinen Gehalts- oder Rentenkürzungen zuzustimmen, mit Ausnahme der umstrittenen Sonderrenten.

Prioritäten und erste Entscheidungen

Die Koalitionspartner sind sich einig, dass die Regierung grundlegende Strukturreformen einleiten muss. „Daran dürften PNL und USR-PLUS tatsächlich bei der nächsten Parlamentswahl von den Wählern gemessen werden“, meint Martin Sieg. Cîțu unterstrich daher die Notwendigkeit einer langfristig angelegten Regierung. Orban betonte als Ziel die Modernisierung Rumäniens, insbesondere durch Investitionen in die Infrastruktur und die Reform der öffentlichen Verwaltung.

Noch vor dem Jahreswechsel gab der Premier verschiedene Beschlüsse der neuen Regierung bekannt: Die Anhebung des Brutto-Mindestlohns um 70 Lei auf 2 300 Lei, umgerechnet rund 472 Euro, und die Festlegung eines Mechanismus zur Erhöhung für die nächsten vier Jahre in der ersten Hälfte 2021. Die Löhne im öffentlichen Dienst wurden zunächst eingefroren. Kreditraten könnten laut einer Entscheidung der europäischen Bankenaufsichtsbehörde für neun Monate gestundet werden. Die Gastronomie soll bis März von der spezifischen Steuer befreit werden, weitere Unterstützung wurde in Aussicht gestellt. Bis Juni soll auch die staatliche Übernahme eines Teils des Gehalts jener, die aus der Kurzarbeit zurückkehren, sowie das Projekt Agro IMM Invest zur Unterstützung der Landwirtschaft verlängert werden.

Nina May

Schlagwörter: Rumänien, Regierung, Bukarest, Parlamentswahlen, Staatspräsident, Klaus Johannis, DFDR, Gant, Premierminister, Cîțu

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