12. April 2016

Staatsakt für Hans-Dietrich Genscher

Der am 31. März im Alter von 89 Jahren verstorbene frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher wird am 17. April in Bonn mit einem Staatsakt geehrt. Die offizielle Anordnung ist durch Bundespräsident Joachim Gauck erfolgt, um Genschers herausragende Verdienste um die Bundesrepublik zu würdigen. Fast zwei Jahrzehnte hindurch hat der gebürtige Hallenser die Außenpolitik der Bundesrepublik geprägt. Der langjährige FDP-Vorsitzende war von 1974 bis 1992 Außenminister und Vizekanzler unter Bundeskanzler Helmut Kohl. Im Zentrum seines politischen Handelns standen die europäische Integration, eine aktive Entspannungspolitik zur Überwindung der Ost-West-Konfrontation in der Ära des Kalten Krieges, und die deutsche Wiedervereinigung.
Ein Höhepunkt der politischen Karriere des studierten Juristen war sein Auftritt auf dem Balkon der bundesdeutschen Botschaft in Prag am 30. September 1989, als Genscher, selbst 1952 in die Bundesrepublik übergesiedelt, den dort seit Wochen campierenden tausenden DDR-Flüchtlingen zurief, dass ihre Ausreise genehmigt worden sei. Der Tod des früheren Bundesaußenministers hat nicht nur in Deutschland, sondern auch international Trauer und Bestürzung ausgelöst. Der sowjetische Ex-Präsident Michail Gorbatschow beklagte den Verlust eines Freundes.

Reaktionen aus Berlin


Bundespräsident Joachim Gauck würdigte Genscher als herausragende Persönlichkeit. „Mit seiner Verlässlichkeit und seinem diplomatischen Geschick hat Hans-Dietrich Genscher unserem Land in der Welt ein Gesicht gegeben und das Vertrauen bei unseren Partnern gestärkt“, unterstrich Gauck in einem Kondolenzschreiben an Genschers Frau Barbara. „Beharrlich, allgegenwärtig und mit feinem Gespür für historische Momente hat er das friedliche Zusammenwachsen unseres Landes und unseres Kontinents vorangetrieben“, betonte der Bundespräsident.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bekundete ihre tiefe Betroffenheit über den Verlust des großen Staatsmannes in einer Ansprache: „Ich verneige mich mit Hochachtung vor der Lebensleistung dieses großen liberalen Patrioten und Europäers“. So habe Genscher maßgeblich an der KSZE-Schlussakte von Helsinki mitgewirkt, überdies gebühre ihm „höchster Respekt dafür, dass er sich an der Seite von Bundeskanzler Helmut Kohl über alle Zögerlichen und Bedenklichen hinwegsetzte, als die Aussicht bestand, die Teilung Deutschlands zu überwinden“. Nach dem Fall der Mauer sei Genscher „eine Schlüsselrolle“ dabei zugekommen, „die Wiedervereinigung unseres Landes in Frieden und Freiheit und im Einklang mit all unseren Partnern und Verbündeten international zu verankern“. Der am 15. März 1991 in Kraft getretene Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik sowie USA, Frankreich, Großbritannien und UdSSR sei „sein bleibendes Werk und die Krönung seiner politischen Laufbahn“, sagte die Kanzlerin.

Zum Tod des ehemaligen Chef-Diplomaten erklärte Außenminister Frank Walter Steinmeier: „Hans-Dietrich Genscher hat in seinem langen und bewegten Leben buchstäblich Geschichte geschrieben, Geschichte unseres Landes, Deutschlands, und Geschichte Europas. (…) Die Überwindung der Teilung Deutschlands und der Spaltung Europas war ihm eine lebenslange Aufgabe. Niemand war länger deutscher Außenminister als Hans-Dietrich Genscher. Ihm war es vergönnt, die deutsche Wiedervereinigung, das große politische Ziel seines Lebens selber zu verwirklichen und auch die Vollendung der deutschen Einheit zu Lebzeiten noch begleiten zu können.“

Genscher bleibt Siebenbürger Sachsen in dankbarer Erinnerung


Die Nachricht vom Tod Hans-Dietrich Genschers ist auch in siebenbürgisch-sächsischen Kreisen mit großer Anteilnahme aufgenommen worden. Unvergessen bleibt Genschers Auftritt als Festredner am Heimattag 1990 in Dinkelsbühl, nach dem Fall der Berliner Mauer, des Eisernen Vorhangs und der Wende in Rumänien.
Historischer Heimattag: Bei dem aufgrund des ...
Historischer Heimattag: Bei dem aufgrund des unmittelbaren Zeitgeschehens außergewöhnlichen Pfingsttreffen 1990 in Dinkelsbühl sprach Außenminister Hans-Dietrich Genscher im Rahmen der Festkundgebung am 3. Juni 1990 und genoss das Bad in der Menge. Das Bild zeigt Dr. Wolfgang Bonfert (in Tracht), der dem hohen Gast im hellen Trenchcoat ATS-Präsident Mike Bokesch vorstellt, links hinter dem Außenminister den Bundesvorsitzenden Dankwart Reissenberger, über Genschers linker Schulter das Gesicht der Stellvertretenden Bundesvorsitzenden Ingrid von Friedeburg-Bedeus und rechts von ihr den späteren Bundesvorsitzenden Dipl.-Ing. Arch. Volker Dürr. Der große Staatsmann und Europäer Hans-Dietrich Genscher ist am 31. März im Alter von 89 Jahren in seiner Wahlheimat Bonn gestorben. Foto: Josef Balazs
„Mit Hans-Dietrich Genscher verlieren Deutschland und Europa einen ganz großen Menschen und Politiker“, betont der Verbandspräsident des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Dr. Bernd Fabritius, MdB, gegenüber der Siebenbürgischen Zeitung: „Sein Einsatz für ein vereintes Deutschland in einem in Frieden und Freiheit gedeihenden Europa verdient höchste Anerkennung. Besonders beeindruckt hat mich ein gemeinsames Erlebnis: Am 30. September 2014, dem 25. Jahrestag von Genschers Ansprache auf dem Balkon der Prager Botschaft, durfte ich als Vertreter des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages mit den beiden Hauptakteuren von damals, Bundesaußenminister a.D. Hans-Dietrich Genscher und Kanzleramtsminister a.D. Rudolf Seiters, sowie einigen Zeitzeugen über die unmittelbaren Erlebnisse und auch über Hintergründe der damaligen Ereignisse sprechen. Bei einem Teller Linsensuppe aus einer authentischen Gulaschkanone aus der Zeit der Botschaftsbesetzung erzählte Hans-Dietrich Genscher im Garten der Prager Botschaft, wie er die Ereignisse damals erlebt hatte. Seine Herzlichkeit und tiefe Vaterlandsliebe, die auch nach 25 Jahren in diesen Erzählungen offenbar wurden, waren tief beeindruckend. So wird Hans-Dietrich Genscher vielen Menschen in fester Erinnerung bleiben.“

Ehrenvorsitzender Dr. Wolfgang Bonfert, von 1983 bis 1989 Bundesvorsitzender unseres Verbandes, schildert im Folgenden seine Erinnerungen an insgesamt zehn Begegnungen mit Hans-Dietrich Genscher: „Auf dem Heimattag zu Pfingsten 1973 wurde ich, damals Stellvertretender Bundesvorsitzender, dem als Festredner eingeladenen Bundesinnenminister Genscher vorgestellt. Genscher sprach damals gezielt die ‚Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen‘ an und würdigte die Bemühungen der Landsmannschaft in Deutschland, unterstützt von den Landsmannschaften in Österreich und Kanada und der Alliance of Transylvanian Saxons (ATS) in den USA, um die Verständigung mit dem Herkunftsland und die Möglichkeit der Brückenfunktion. Meine zweite Begegnung, diesmal als Bundesvorsitzender, mit Genscher, der damals Außenminister und Vizekanzler war, erfolgte auf dem Heimattag 1984. Genscher hatte aus Termingründen zunächst abgesagt, erschien dann aber überraschend mit seiner Frau Barbara zur Kundgebung und hielt die Festansprache. Darin führte er aus, dass die Bemühungen für die Erleichterung der Ausreisemöglichkeiten keine Auswanderungspolitik seien, sondern dem Grundrecht der Freizügigkeit und der Ermöglichung der Familienzusammenführung dienten. Genscher war sichtlich beeindruckt von den zahlreich aktiven Jugendlichen auf diesem Heimattag und hatte auch Geprächskontakt mit dem ‚Vater der Weltraumfahrt‘ Hermann Oberth, den Organisationsleitern der Jugend Johann Schuller und Christoph Bonfert, mit Ernst Habermann (Siebenbürgische Stiftung) und Dr. Gust Wonnerth (Landesvorsitzender in Bayern) und anderen landsmannschaftlichen Repräsentanten wie auch unseren Gästen aus Übersee.

Meine dritte Begegnung fand am 9. Oktober 1984 im Auswärtigen Amt in Bonn statt, wo ich in Begleitung von Dankwart Reissenberger und Hans Hartl zusammen mit dem Vorsitzenden der Banater Schwaben Josef Schmidt und seinem Stellvertreter Lanz im Vorfeld des Besuches von Ceaușescu in Bonn in einem Gespräch über die Situation und Bestrebungen hinsichtlich unserer Landsleute in Rumänien berichtete.

Meine vierte Begegnung mit Genscher erfolgte am 15. Oktober 1984 auf dem Empfang des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker im Schloss Augustusburg in Brühl für Ceaușescu anlässlich dessen Staatsbesuches in Bonn. Bei der Begrüßung auf der Treppe des Schlosses von Balthasar Neumann erinnerte Frau Barbara Genscher, für die Umstehenden deutlich hörbar, an das ‚schöne und von vielen Trachtenträgern geprägte‘ Pfingsttreffen 1984.

Bei Genschers Einladung ins Auswärtige Amt in Bonn am 10. April 1986 kam es zu Gesprächen im Vorfeld des Besuches des rumänischen Außenministers Vaduva in Bonn. Besprochen wurden die Situation der Deutschen in Rumänien und Möglichkeiten zur Verbesserung des Daseins und der Familienzusammenführung. Zur sechsten Begegnung mit Genscher kam es auf dessen Einladung zum gemeinsamen Abendessen mit dem rumänischen Außenminister im Bonner Hotel Steigenberger. Dabei gab es Gelegenheit zum persönlichen Gespräch mit Außenminister Vaduva und auch mit Genscher selbst, den ich über eine auf dem bevorstehenden Verbandstag in Geretsried beabsichtigte Resolution informieren konnte.

Am 16. Dezember 1986 traf man sich im Auswärtigen Amt in Bonn im Vorfeld einer Reise Genschers nach Bukarest, auf der ich zusammen mit Hans Hartl und Dankwart Reissenberger, den Banater Schwaben Jakob Laub und Klaus Lanz und dem Sathmarer Schwaben Franz Einholz die aktuellen Probleme und die Situation in Rumänien erörterte.

Eine besondere Begegnung mit Genscher war die Gratulationscour zu seinem 60. Geburtstag in Bonn in der Beethovenenhalle am 21. März 1987: Zusammen mit einer sächsischen Jugendgruppe aus Drabenderhöhe in Tracht und mit dem Maler Friedrich von Bömches gratulierten wir (meine Frau und ich waren auch in Tracht) dem Jubilar und überreichten ihm als Geburtstagsgeschenk der Siebenbürger Sachsen das von Friedrich von Bömches geschaffene ‚Genscher-Portrait‘.

Die neunte Begegnung (da war ich noch Vorsitzender der Föderation) erfolgte am 3. Juni 1990 auf dem Heimattag, Genscher war als Festredner der Kundgebung zu Gast. Frau Käthe Paulini, damals noch Bundesvorsitzende der Landsmannschaft in Kanada, und meine Frau Ingeborg (beide in Tracht) geleiteten Genscher zum Rednerpult und wieder zurück. Es ergab sich auch Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch, zusammen mit Frau Anneli Ute Gabanyi und meinem Sohn Christoph, bei dem Genscher die Wende in Rumänien und die siebenbürgisch-sächsische Jugendarbeit ansprach. Bei meiner letzten Begegnung dann am 20. Oktober 1995 in Quierschied im Saarland stellte Genscher sein soeben im Siedler-Verlag erschienenes Buch „Erinnerungen“ vor, von dem er mir ein signiertes Exemplar überreichte.

Meine Kontakte mit Hans-Dietrich Genscher vermittelten mir den Eindruck eines konzentriert arbeitenden, sachbezogenen Politikers, der mit Einfühlungsvermögen wohlüberlegte Schritte plant. Für uns als Deutsche in bzw. aus Rumänien zeigte er immer ein besonderes Verständnis und war stets ein aufgeschlossener und verlässlicher Gesprächspartner, der sich offensichtlich auch persönlich engagierte. Wir Siebenbürger Sachsen haben ihm viel zu verdanken und sollten dies auch immer entsprechend würdigen“, bekräftigt Dr. Wolfgang Bonfert abschließend.

Christian Schoger

Schlagwörter: Genscher, Außenminister, Deutschland, Bonn, Berlin, Gauck, Bundespräsident, Merkel, Bundeskanzlerin, Rumänien, Ceausescu, Nachruf, Bonfert, Fabritius, Heimattag, Dinkelsbühl

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