7. März 2022

Krieg in der Ukraine: Interview mit dem Aussiedlerbeauftragten Bernd Fabritius

„Die Welt wird nie wieder diejenige sein, die Putin und seine Regierung am 24.2.2022 durch seinen brutalen Überfall auf einen freien und souveränen Staat (…) so radikal verändert hat“. Diese feste Überzeugung äußerte der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Dr. Bernd Fabritius, im Gespräch mit Christian Schoger. Die Uno meldete am 6. März bereits mehr als 1,5 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine als Folge der schweren Kämpfe. In dieser extremen Notlage leistet die Europäische Union, mithin auch Deutschland, dringend erforderliche humanitäre Hilfe. Gerade jetzt ist Dr. Fabritius als Aussiedlerbeauftragter und zudem als Präsident des Bundes der Vertriebenen (BdV) rund um die Uhr gefordert. Er begrüßt den seitens der EU den Geflüchteten angebotenen direkten Schutzstatus, setzt sich darüber hinaus für eine aktive Hilfestellung des BdV bei der Spätaussiedleraufnahme ein und, so erklärt Dr. Fabritius gegenüber der Siebenbürgischen Zeitung, für „Sachlichkeit und Besonnenheit“ im Zusammenleben mit den Russlanddeutschen. In der Bundesrepublik leben rund vier Millionen Deutsche aus Russland.
Herr Fabritius, wie haben Sie den Beginn der russischen Invasion in die Ukraine aufgenommen? Welche Gedanken und Gefühle löste die Nachricht bei Ihnen aus?

Tief betroffen und besorgt. Ich hätte nicht gedacht, in meiner Lebenszeit einen Krieg mitten in Europa so direkt erleben zu müssen. In Kiew war ich erst vor wenigen Wochen anlässlich der deutsch-ukrainischen Regierungskommission für die Angelegenheiten der Deutschen in der Ukraine. Es leben etwa 33.000 Landsleute dort. Viele dieser Menschen befinden sich jetzt in Kellern zum Schutz vor russischen Bomben, oder irgendwo auf der Flucht. Einige habe ich persönlich kennengelernt. Es ist einfach schrecklich!

Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der ...
Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten
Bundeskanzler Olaf Scholz sprach in seiner Regierungserklärung zum Ukraine-Krieg von einer „Zeitenwende“. Russland verletzt mit seinem Überfall eines souveränen Nachbarstaates in Europa das Völkerrecht, Putin torpediert die regelbasierte Weltordnung. Welche Bedeutung hat dieser Krieg in der Ukraine für Deutschland, welche für Europa?

Bundeskanzler Scholz hat Recht. Die Welt wird nie wieder diejenige sein, die Putin und seine Regierung am 24.2.2022 durch seinen brutalen Überfall auf einen freien und souveränen Staat – ein unmittelbarer Nachbar Rumäniens –, so radikal verändert hat.

Der Bund der Vertriebenen hat den russischen Angriffskrieg scharf verurteilt, die Verantwortung für den Krieg trage Putin. Inzwischen schreckt der Kreml-Chef nicht einmal vor einem atomaren Drohszenario zurück. Halten Sie eine solche Eskalation für realistisch?

Sie ist durch Angriffe gegen das größte Atomkraftwerk in Europa leider bereits Realität. Auch wenn angeblich nur Verwaltungsgebäude beschädigt wurden, ist das Beschießen eines großen Atomkraftwerkes mit mehreren Reaktoren schlicht eine Katastrophe, ein Angriff auf alle Länder, die bei einer Atomkatastrophe betroffen wären. Ich hoffe, dass diese unglaubliche Provokation nicht zu weiteren Eskalationen führt.

Deutschland hat auf die russische Invasion in der Ukraine mit Sanktionen gegen Russland sowie Waffenlieferungen und humanitärer Hilfe für die Ukraine reagiert. Reicht dieses Engagement aus?

Ich fürchte nicht. Wenn wir das aktuelle Geschehen in der Ukraine verfolgen, hat das jedenfalls wenig Wirkung gezeigt. Ich wäre daher für alle denkbaren Sanktionen, um eine weitere militärische Ausweitung unbedingt zu vermeiden.

Die EU stellt sich auf Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine ein. Rumänien hat seine Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen bekräftigt und bietet bereits zigtausenden Ukrainerinnen und Ukrainern Schutz. Wie beurteilen Sie dieses Engagement?

Ich finde es richtig, dass die Europäische Union entschieden hat, Menschen aus der Ukraine, die sich retten können, einen direkten Schutzstatus anzubieten. Damit können sich diese Menschen in ein EU-Land ihrer Wahl retten, haben dort zuerst für ein Jahr Arbeitserlaubnis und bekommen Hilfe. Das ist sehr wichtig, weil damit die Stellung von Asylanträgen gar nicht nötig ist und eine Rückkehr in die Heimat nach Ende des Konfliktes einfacher wird.

Heute leben rund 33.000 ethnische Deutsche auf dem Gebiet der Ukraine. Der Bund der Vertriebenen hat Hilfestellung bei der Spätaussiedleraufnahme angekündigt. Welche konkrete Unterstützung kann der BdV leisten?

Nun, zuerst habe ich mich als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen dafür eingesetzt, dass Landsleute aus der Ukraine, die sich für eine Aussiedlung nach Deutschland entscheiden, dieses in einem Härtefallverfahren direkt in Deutschland prüfen lassen können. Ab sofort müssen Ukrainedeutsche das Aufnahmeverfahren nicht in ihrem Heimatland abwarten, sondern sie können sich sofort aus dem Kriegsgebiet retten und in Friedland nach telefonischer Anmeldung oder Mailankündigung direkt einen mündlichen Aufnahmeantrag stellen. Wir haben bereits am ersten Tag des Krieges als Bund der Vertriebenen, gemeinsam mit der AGDM, der Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten, und den Partnerverbänden, dem VdG in Polen, der LDU in Ungarn, der KdV in der Slowakei sowie dem Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien, eine Hilfsaktion gestartet, bei der eine Hotline rund um die Uhr Landsleuten, die es in eines der genannten Länder geschafft haben, Hilfe anbietet. Das reicht im Einzelfall von der Abholung vom Grenzort durch die örtlichen Minderheitenorganisationen, bis hin zur Unterstützung auf der Weiterreise zu Verwandten - wenn sie nur vorübergehend bleiben wollen -, oder auch nach Friedland in die Aussiedleraufnahmestelle. Der Spendenaufruf zeigt zum Glück gute Resonanz, so dass wir fliehenden Menschen sogar einen Benzinzuschuss und Geld für Lebensmittel während der Reise zur Verfügung stellen können. Das ist sehr wichtig, weil private Bankkarten aus der Ukraine nicht mehr funktionieren und die Menschen so keinerlei Zahlungsmöglichkeit haben. Ich bitte daher herzlich um weitere Unterstützung unserer Aktion.

Unser Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland unterstützt Ihren Spendenaufruf. Der Krieg dürfte Erfahrungen der Siebenbürger Sachsen von Krieg, Flucht und Vertreibung, die tief im kollektiven Bewusstsein gespeichert sind, wachrufen. Was nehmen Sie im persönlichen Austausch mit Landsleuten wahr, verstärkte Angst, Empathie?

Zum Glück ist die Hilfsbereitschaft überwältigend, vielleicht gerade auf Grund der Erfahrungen von Deportation und Entrechtung. Angst habe ich nicht angetroffen, eher allgemeine Besorgnis. Landsleute in Deutschland und in Rumänien reagieren nach meiner Wahrnehmung sehr besonnen und ruhig. Das können sie auch: Sowohl Deutschland als auch Rumänien sind Teil des Verteidigungsbündnisses NATO, was einen Angriff sehr, sehr unwahrscheinlich macht, eigentlich ausschließt. Ich höre eher von Beispielen, in welchen Landsleute Unterbringung für Flüchtlinge aus der Ukraine zur Verfügung stellen und helfen, wo sie können.

Als Aussiedlerbeauftragter der Bundesregierung sind Ihnen die Belange der Russlanddeutschen wichtig. Wie schätzen Sie die derzeitige Stimmungslage in der russlanddeutschen Minderheit ein? Wird Putins Krieg gegen die Ukraine mitgetragen, überwiegt Kritik?

Ganz überwiegend wird dieser Krieg als das gesehen, was er ist: eine menschenverachtende kriegerische Aggression der russischen Föderation gegen ein Brudervolk. Sowohl die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland in Deutschland, als auch die Selbstorganisation der Deutschen in Russland, mit Sitz in Moskau und Niederlassungen in allen Landesteilen, haben sich sehr deutlich distanziert und verurteilen den Krieg. Ganz vereinzelt nur gibt es Menschen, die überwiegend russische Medien nutzen und daher ihre Meinung auf völlig falschen Darstellungen aufbauen. Diese unterstützen Putin noch, aber auch diese Zahl wird immer geringer. Die Bilder aus der Ukraine führen sehr schnell zu besserer Erkenntnis. Leider zeichnen einige, meist regionale Medien in Deutschland vereinzelt auch ein unzutreffendes Bild: Wenn beispielsweise vor einem Lebensmittelmarkt mit russischen und auch ukrainischen, polnischen, rumänischen Lebensmitteln etwa 15 Menschen befragt werden, die allermeisten Putin und den Krieg ablehnen, aber einer davon Putin und den Krieg positiv bewertet, wird genau dieser eine Mensch und seine abstruse Meinung auf einer halben Zeitungsseite präsentiert, für die anderen bleibt ein Nebensatz. Dazugestellt wird dann auch noch ein Foto des Lebensmittelladens. Das ist keine ausgewogene Berichterstattung, sondern leichtfertige Verzerrung, die dann zu Ausgrenzung und zu Hetze führt. Ich appelliere daher an eine möglichst ausgewogene Berichterstattung und Wahrnehmung der Verantwortung, die jeder Medienanbieter gerade in einer solchen Situation hat.

Welchen Einfluss auf das Meinungsbild der Russlanddeutschen haben russische Staatsmedien? Die EU hat die russischen Propagandakanäle RT und Sputnik verboten. Begrüßen Sie diese Maßnahme?

Verständlicherweise konsumieren Menschen, die sich ihrem Heimatland noch verbunden fühlen, auch dortige Medien. Das gilt auch für Russlanddeutsche, die sich ihrem Herkunftsland noch verbunden fühlen. RT und Sputnik zeichneten sich aber zuletzt durch gezielte Desinformation aus und waren Teil der hybriden Angriffsstrategie gegen die freie Welt. Die Sperre dieser Instrumente finde ich absolut richtig.

Wie lautet Ihre Botschaft an die Deutschen aus Russland? Und was wünschen Sie sich hinsichtlich des gesamtgesellschaftlichen Miteinanders? Es gibt Meldungen über vereinzelte antirussische Reaktionen in der deutschen Bevölkerung.

Ich rufe allgemein zu Sachlichkeit und Besonnenheit auf. Wir leben in Deutschland in einem funktionierenden Rechtsstaat. Gegen Angriffe, gegen Hetze und Ausgrenzung kann man sich mit allen Mitteln des Rechtsstaates wehren, wenn diese relevant werden oder Überhand nehmen. Vereinzelte Schmähungen empfehle ich nicht persönlich zu nehmen, sondern als das abzutun, was sie sind: Blödsinn zum Ignorieren. Meist kennen die Hetzer ihre Opfer überhaupt nicht, sie differenzieren überhaupt nicht, ob sie gerade jemanden beleidigen oder beschimpfen, der aus vollem Herzen gegen den Krieg ist und vielleicht auch noch bei Hilfsaktionen mitmacht. Das sind die allermeisten Russlanddeutschen. Ich warne auch vor Übertreibungen und Aufbauschung einzelner Vorfälle. Derartiges ist häufig – wie damals im Fall Lisa – Teil einer gezielten Instrumentalisierung von interessierter Seite. Wir sollten jedem Versuch einer Spaltung unserer Gesellschaft mit viel Aufklärung und mit Empathie entgegenwirken.

Zum Ausklang des ersten Viertels des 21. Jahrhunderts sehen wir uns mit der Herausforderung des Klimawandels, einer Pandemie und nun der akuten Bedrohung von Freiheit und Sicherheit in Europa konfrontiert. Haben Sie angesichts dieser Gemengelage noch Zuversicht - wenn ja, woraus schöpfen Sie diese?

Selbstverständlich bin ich zuversichtlich. Ich glaube fest an das Gute im Menschen und dass im Kern jeder eigentlich nur in Frieden leben und auch kommenden Generationen eine gute Zukunft bieten möchte. Das setzt, so hoffe ich doch, ausreichend positive Gestaltungsenergie frei und lässt uns auch aktuelle Herausforderungen im Ergebnis überstehen.

Bewahren wir uns diesen Optimismus. Vielen Dank für das Gespräch.

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Schlagwörter: Ukraine, Krieg, Russland, Flucht, Hilfe, Aussiedler, Spätaussiedler, EU, Deutschland, Russlanddeutsche, Bernd Fabrtius, Aussiedlerbeauftragter, BdV, Präsident, Putin, Uno

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  • 08.03.2022, 15:44 Uhr von Peter Otto Wolff: Eine wirklich schwierige Mission für Dr. Fabritius. Wer ernsthaft noch die Parolen des Aggressoren ... [weiter]

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