2. August 2011

„Fest unter der Eiche“ im Haus der Heimat in Nürnberg

1941 wurden etwa eine Million Deutsche in den Osten der Sowjetunion verschleppt. Das bedeutete die Liquidierung ihrer Wolgarepublik und aller deutschen Siedlungen im europäischen Teil der Sowjetunion. Man beschuldigte die Deutschen pauschal der Kollaboration mit Hitlerdeutschland. Der Stalinerlass vom 28. August bildete den Anfang einer systematischen repressiven Politik gegen deutsche Bürger der Sowjetunion mit Schutzhaft, Zwangsarbeit, Rechtlosigkeit und gesellschaftlicher Ausgrenzung. 70 Jahre nach dem wohl tiefsten und schmerzlichsten Umbruch in der Geschichte der Deutschen aus Russland wurde im Haus der Heimat dessen gedacht – und dennoch gefeiert.
Horst Göbbel, Vorstandsvorsitzender des Hauses der Heimat (HdH), spannte in seiner Begrüßungsrede den Bogen von der aktuellen nationalen Tragödie in Norwegen über Vertreibung sowie Zwangsumsiedlung als humanitäre Katastrophen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bis zu den 2,5 Millionen Russlanddeutschen, die in den letzten zwei Jahrzehnten als (Spät)Aussiedler in Deutschland aufgenommen wurden. Ihre Geschichte sei auch Teil unserer Geschichte. Er schloss mit den Worten: „Gedenken und Feiern schließen sich nicht aus. Wir gedenken der Deportation. Wir feiern die Integration.“

Michael Frieser, MdB, Integrationsbeauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Schirmherr des Festes, der die hohe Anzahl der anwesenden Ehregäste aus Politik und Gesellschaft hervorhob, pflichtete dem bei: „Es ist wichtig, dass Sie auch immer wieder thematisch erinnern – wie heute an die Deportation der Russlanddeutschen 1941 –, um Geschichte tatsächlich bewusst zu machen. Dazu gehört Kultur erleben, erleben lassen, aber auch im Alltag selber leben.“ Begegnung sei sehr wichtig und das HdH sei „ein Ort, an dem Begegnung in kultureller Vielfalt möglich ist, wo man innerlich bereit ist, Menschen mitzunehmen in eine Gemeinschaft.“

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Günter Gloser thematisierte das Verlassen der Heimat weltweit, speziell die aktuelle Hungerkatastrophe in Somalia, und, Bezug nehmend auf die von Horst Göbbel gestaltete Stellwand über die Deportation der Russlanddeutschen, sagte er: „Es ist wichtig, daran zu erinnern, was der Auftrag der Politik, aber auch der Gesellschaft ist: eine Leistung zu erbringen, diese Schreckenstaten zu beschreiben, wie es Ihre Dokumentation auch zeigt, dass wir aber auch aktuell das Thema Heimat in der Politik neu einordnen müssen.“
Blau-rotes Grill-Team der Tanzgruppe Nürnberg mit ...
Blau-rotes Grill-Team der Tanzgruppe Nürnberg mit Doris Hutter. Foto: Annette Folkendt
SPD-Fraktionsvorsitzender Christian Vogel überbrachte Grüße des Nürnberger Oberbürgermeisters Dr. Ulrich Maly, dankte allen Akteuren für das Engagement im HdH und sagte: „Das Haus der Heimat zeigt sehr genau, was möglich und was nötig ist für eine Stadt wie Nürnberg.“

Bezirksrat Peter Daniel Forster sprach in Vertretung von Bezirkstagspräsident Richard Bartsch ein Grußwort, in dem er ins Schwärmen geriet: „Das Haus der Heimat strahlt wie ein großer Leuchtturm aus dem Nürnberger Süden in das mittelfränkische Gebiet hinaus. Sie faszinieren mit Ihrer Arbeit die Jugendlichen und auch die Junggebliebenen!“ Er war wohl sehr angetan auch vom Kulturprogramm, das zwischen den Grußworten geboten wurde: Aus der russlanddeutschen Tanzgruppe „White Shadows“ präsentierte die Kindergruppe HIP HOP und die Teeny-Gruppe einen Charleston, Sofiya Kachkovska, Sprachschülerin im HdH, tanzte den russischen Tanz „Freude“, die Jugendtanzgruppe Sternele der Landsmannschaft der Sathmarer Schwaben Nürnberg zeigte die Volkstänze „Marschkonter“ sowie „Tanzfreude“ und der Chor der Deutschen aus Russland, „Heimatklänge“, sang zwei Volkslieder.

Im Beisein der Gäste, darunter mehrere Vertreter aus dem Stadtrat, von Wohlfahrtsverbänden, aus dem Bürgerverein Langwasser, Bund sowie Union der Vertriebenen, Vorsitzende von Landsmannschaften, Mitglieder des neuen Nürnberger Rates für Integration und Zuwanderung sowie des Nürnberger Kulturbeirats zugewanderter Deutscher, ehrte Horst Göbbel Vereinsmitglieder mit 10-jähriger Mitgliedschaft im HdH.

Bei sommerlichem Wetter hatten starke Männer unterschiedlicher Landsmannschaften am Vormittag die Zelte und das Trampolin für die Kinder aufgestellt. Köstlich duftete es am Grill der Siebenbürger Sachsen und stetig brummte das Geschäft an der von Banater Schwaben betreuten Schänke. An der Kasse saßen Sathmarer Schwaben, die Bibliothekarin, eine Banater Schwäbin, bestritt den Bücherflohmarkt und eine Russlanddeutsche betreute die Kinder in der Kreativecke beim Verzieren von Blumentöpfen. Das Ehepaar Faff, Siebenbürger Sachsen, bot Baumstriezel an und erinnerte mit der langen Warteschlange vor ihrem Zelt an die 80er Jahre in Rumänien. In der Küche wechselten stündlich Helfer verschiedener Landsmannschaften. Knapp 40 Kuchen, deren Ausgabe von Siebenbürger Sächsinnen unter der Leitung von Erika Hoos betreut wurde, hatten die Mitgliedsvereine gespendet. Organisiert hatte das Fest wieder der Arbeitskreis Kultur, dessen Mitgliedern die Geschäftsleiterin des HdH, Doris Hutter, herzlich dankte. Zu dem Zeitpunkt tanzten mehrere der rund 400 Gäste schon zu den stimmungsvollen Klängen der Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg unter der Leitung von Michael Bielz, andere saßen in der Kreativecke und lebten ihre Phantasien künstlerisch aus. Spätestens dann war nach anfänglichem Gedenken das Feiern an der Tagesordnung.

Doris Hutter

Schlagwörter: Nürnberg, Deportation, Gedenken

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