17. März 2023

Bedeutende Volkskundlerin und Mundartforscherin: Abschied von Hanni Markel, die 83-jährig verstarb

Der Lebenskreis von Hanni Markel hat sich am 6. März 2023 im Klinikum Fürth für uns viel zu früh geschlossen. Ihre ehemalige Kollegin am Klausenburger Folklore-Institut Helga Stein kann im Nachruf nur wiederholen, was sie zum 80. Geburtstag dieser hervorragenden siebenbürgischen Volkskundlerin schrieb: „Die rechte Frau zur rechten Zeit am rechten Platz!“ Bedeutende Spuren hat Hanni Markel auch als siebenbürgisch-sächsische Mundartforscherin gelassen, wie Doris Hutter und Bernddieter Schobel schreiben.
Hanni Markel beim siebenbürgisch-sächsischen ...
Hanni Markel beim siebenbürgisch-sächsischen Mundartseminar am 11. September 2022 in Schweinfurt. Foto: Angelika Meltzer
Hanni Anneliese Markel, geb. Kirschlager, wurde am 9. August 1939 in Talmesch geboren. Nach dem Besuch der Deutschen Volksschule in Großpold und des Gymnasiums „Mädchenschule Nr. 2 mit deutscher Unterrichtssprache“ in Hermannstadt (Abitur 1956) studierte sie Germanistik und Rumänistik an der Universität Bukarest (Diplomprüfung 1962). Sie wirkte 1962-1964 als Gymnasiallehrerin in Seiden und von September 1964 bis November 1992 als Forscherin am Institut für Ethnographie und Folklore der Rumänischen Akademie, Zweigstelle Klausenburg.

Hanni war so voller Interesse und voller Freude an allem Wissenswerten aus unserem Fachgebiet, der Volkskunde und auch der Sprachforschung. Jedes Telefonat entwickelte sich zu einem kleinen enzyklopädischen Aufsatz. Unentwegt sprudelten die Informationen und Literaturhinweise, so dass man fast ein schlechtes Gewissen bekam, nicht so gut auf dem Laufenden zu sein. Noch eine Woche vor ihrem Tod sprachen wir von einem bevorstehenden Besuch einer Kollegin. Hanni hätte diese am liebsten auch über Nacht als Gast dabehalten. Bei solchen Besuchen reichte der Tag oft nicht aus, und die Gespräche bis in die späten Abendstunden waren anregend und ergiebig. Auch ich habe diese Gastfreundschaft häufig genossen und danke ihr sehr herzlich dafür.

Hanni hatte in den 28 Jahren ihrer Tätigkeit am Klausenburger Folklore-Institut noch die Möglichkeit, reiche Feldforschung in einem noch weitgehend intakten kulturellen Umfeld zu unternehmen. Außer Ovidiu Bârlea, dem rumänischen Erzählforscher, der für uns alle Mentor war, dürfte wohl niemand so viel über die Biologie des siebenbürgisch-sächsischen Erzählgutes gewusst haben wie Hanni Markel. Immer wieder forderten wir sie auf, ihr Wissen und ihre Erlebnisse aufzuschreiben. Immer wieder bohrten wir an ihr, aber immer wieder fand sie, dass ihr Wissen noch nicht reif genug sei. Keiner kannte die Situation durch volkskundliche Feldforschung in den sächsischen Dörfern besser. Auf wie viele markante Erlebnisse und Begegnungen konnte sie zurückgreifen? Einiges ist in dem so genannten Sekundärmaterial zu den Feldforschungen, d. h. in den Notizen zu den einzelnen Tonbandaufnahmen, in den Notizen zu den Gewährsleuten, zu den Ortschaften etc. zu finden.

Als ich zu ihrem 80. Geburtstag einen kurzen Überblick über ihre Schriften gab (Siebenbürgische Zeitung, Folge 13 vom 5. August 2019, S. 7, siehe auch SbZ Online vom 9. August 2019) staunten viele über die Fülle ihrer Grundsatzarbeiten. Damals schlug ich ihr vor, die rumänisch publizierten Aufsätze ins Deutsche übersetzt als Sammelband herauszugeben. Hanni fand es aber komisch, ihre Texte von einem Fremden neu schreiben zu lassen.

Hanni Markel war es noch in den letzten Wochen vor ihrer Ausreise 1992 gelungen, mit den rumänischen und deutschen Kulturbehörden einen Vertrag auszuhandeln, der es erlaubte, das Klausenburger Tonbandmaterial samt dazugehörigem schriftlichem Sekundärmaterial für das Institut in Gundelsheim zu kopieren und gegen ein Kopiergerät einzutauschen. Immerhin waren das 1751 Nummern auf Tonband und 4054 zusätzlichen Notatnummern. Letztere enthalten weit mehr Einzelbelege, die vor allem die kleineren literarischen Formen betreffen. In dem Artikel „Der siebenbürgisch-sächsische Bestand im Folklorearchiv Klausenburg“, in A. Schenks Sammelband „Europäische Kulturlandschaft Siebenbürgen. Reflexion einer wissenschaftlichen Dokumentation“, 1995, berichtete Hanni Markel darüber.

Bis in die 80er Jahre hatte sie noch das Glück, ein relativ intaktes Kulturleben vorzufinden. Am Ende des Jahrzehnts war nichts mehr zu holen. Jeder hatte mit sich selbst genug zu tun. Auch nach dem Exodus waren die Menschen viel zu sehr mit sich beschäftigt, und der Versuch, etwas zu sammeln, blieb erfolglos. Hanni Markel wurde so zur Zeugin, wie eine ganze Kultur zerbrach.

Sicher waren es besondere Voraussetzungen, die es ihr 2002 möglich machten, über das „Erzählen in Großpold“, ihrem Heimatdorf, in: M. Bottesch, F. Grieshofer, W. Schabus (Hgg): „Die siebenbürgischen Landler. Eine Spurensicherung“, zu berichten. Wie bei den meisten Wissenschaftlern bleiben immer einige Lieblingsthemen unausgewertet zurück. Bei Hanni Markel sind das die Sprichwörter und Redensarten, ein akribisch ausgearbeitetes, fast druckreifes „Lexikon des siebenbürgisch-sächsischen Sprichwortes“ von über 10.000 Beispielen aus 155 Ortschaften. Hanni Markel zögerte, das Werk herauszugeben – in der Überzeugung, immer noch etwas hinzufügen zu können, es immer noch besser machen zu müssen.

Ein Problem für die siebenbürgisch-sächsische Volkskunde ist die Transkription der mundartlichen Texte. Nach Beendigung ihres Germanistikstudiums in Bukarest lernte sie durch ein Praktikum beim siebenbürgisch-sächsischen Wörterbuch in Hermannstadt die differenzierte Transkription der Dialektologen kennen. Doch bald ergab sich, dass diese für das volkskundliche Erzählmaterial zu kompliziert war. Bis ins letzte Jahrzehnt hat Hanni Markel an einer praktikablen, computerlesbaren siebenbürgisch-sächsischen Rechtschreibung gearbeitet. Das Resultat fand in der Mundartrubrik „Sachsesch Wält“ der Siebenbürgischen Zeitung konsequente Anwendung und Anerkennung.

Hanni Markel war für die siebenbürgische Feldforschung überhaupt ein Glücksfall, zumal sie aus einer sächsisch-landlerischen Mischortschaft stammte. Ich erinnere mich noch gut an ein recht langes Telefongespräch, in dem sie mir erklärte, wie in ihrer Familie die mundartliche Zweisprachigkeit praktiziert wurde. Ob sie was dazu aufgeschrieben hat, weiß ich nicht. Ich habe es leider nicht getan. Mea culpa!

Es gab Zeiten, in denen Feldforschung nicht möglich war. Auch Hanni Markel wandte sich den volkskundlichen Vorgängern zu. Ihre umfangreichsten Arbeiten bezogen sich auf Joseph Haltrich. Dessen, von ihr ergänzte, klassische Märchensammlung (1973) wurde zur auflagenstärksten deutschen Buchpublikation Rumäniens. Die Forschung in den Hermannstädter Archiven kam Hanni Markel sehr entgegen, hatte sie doch 1965 den Germanisten Michael Markel geheiratet und ihre beiden Jungen Klaus und Kurt in der Schule in Hermannstadt. Trotz aller widriger Umstände ist es Hanni Markel gelungen, Beruf, Familie zu vereinen und ein gastliches Haus zu führen.

Ach, man könnte noch so vieles über Hanni erzählen. Auch ist es selten, dass die Nachfolgerin sich mit der Vorgängerin gut versteht, und umgekehrt sie sich auch gegenseitig respektieren und bewundern. Sie war eben die rechte Frau zur rechten Zeit am rechten Platz! Hanni, wir danken dir!

Helga Stein

Schreiben, wie uns der Schnabel gewachsen ist

Das Schwergewicht der wissenschaftlichen Leistung Hanni Markels liegt auf der ethnologischen Forschung und schlägt sich in einem einmalig reichen, auf entbehrungsreichen Feldfahrten eingebrachten Archivmaterial im Archiv des Folklore-Instituts in Kausenburg nieder. Begonnen aber hatte Hanni in der Dialektologie; ihre Diplomarbeit 1962 hatte die „Phonetik der Landlermundart in Großpold“ zum Thema, gründete sich auf eigene Erhebungen und führte zu weitgehend heute noch gültigen Erkenntnissen in dem Fach. Sie ist, als ihr ethnologisches Forschungsgebiet durch die Ausreise im Dezember 1992 weitgehend abhandenkam, wieder zur Dialektologie zurückgekehrt und war hauptsächlich damit befasst, die Schreibung des sächsischen Dialekts den einsichtigeren Gepflogenheiten anderer deutscher Dialekte anzunähern.

Gelegenheitsverse in Mundart vortragen, ist recht beliebt. Dialekt zu schreiben, ist jedoch nicht einfach. Mit Blick auf eine möglichst einheitliche, verständliche Rechtschreibung, die mit wenigen Sonderzeichen auskommt, wirkte Hanni Markel schon 2000 in Nürnberg darauf hin, dass sich die Mundartautoren auch der Schreibweise widmen. Also veranstalteten wir, anfangs im Wechsel mit Elisabeth Kessler, die sich im Haus des Deutschen Ostens München u.a. auch um unseren Dialekt kümmerte, jedes Jahr ein Mundartautorenseminar. Im Haus der Heimat Nürnberg fand 2001 das erste Seminar unter der Leitung von Hanni Markel statt, im September 2022 betreute Hanni ihr letztes Mundartseminar in Schweinfurt.

Was staunten wir Autoren über den „Rheinischen Fächer“, eine nord-südliche, fächerförmige Stufung innerhalb der zweiten, hochdeutschen Lautverschiebung (der Konsonanten) im westdeutschen Sprachgebiet! Im Siebenbürgisch-Sächsischen sind sowohl südlichere Kennzeichen als auch solche der niederdeutschen Dialekte vertreten, doch nicht in durchgehenden Entsprechungen. Dazu Hanni: „Siebenbürgen hat eben einen eigenen Fächer.“ Wir wurden aufgeklärt, dass unser Sächsisch zu den westmittelfränkischen Dialekten gehöre, wodurch sich gewisse Gemeinsamkeiten mit dem Mitteldeutschen leicht erklären lassen. Es ging auch um die sieben J-Gemeinden Siebenbürgens. Bei der verwirrenden Vielfalt des Dialekts hat sich in der überlokalen Kommunikation schon früh das Hermannstädterische als „Umgangssächsisch“ durchgesetzt. So schreiben, wie einem der Schnabel gewachsen ist, wirkt freilich lebendiger und weniger gekünstelt. Darüber hinaus waren die Mundartautoren oft verunsichert, ob der sich auftuenden Problematik: Soll man beim richtigen Schreiben in Kauf nehmen, einige/viele(?) Leser abzuschrecken, weil sie zu wenig verstehen, oder mit einer fehlerhaften, doch leichter zu erfassenden Schreibweise Leser anlocken und motivieren, Sächsisch zu lesen? Es ging auch um Dehnung und Kürzung von Vokalen, vor welchen Konsonanten die Eifler Regel gilt, usw. Hanni hatte immer erklärende Beispiele parat.

In solche Gedankengänge mit einbezogen zu werden, Beispiele und Handreichungen zu bekommen, um sich auch allein zurechtzufinden, machte die Seminare mit Hanni für die Autoren wertvoll und nahm den meisten die Furcht vor dem Schreiben. So trafen sich über viele Jahre in Hannis Seminaren die Mundartautorinnen und -autoren Gerda Bretz-Schwarzenbacher, Andreas Bühler, Hilda Femmig, Johanna Gadelmeier, Stefan Hann, Martin Hedrich, Doris Hutter, Hilde Juchum, Walter-Georg Kauntz, Johanna Leonhardt, Michael Kenst, Katharina Kessel, Elisabeth und Oswald Kessler, Malwine Markel, Elfriede Meedt, Wilhelm Meitert, Grete Menning, Wilfried Römer, Gertrud Roth, Martha Scheiner, Rose Schmidt, Bernddieter Schobel, Günther Schuster, Richard Sonnleitner, Katharina Thut, Hans Otto Tittes, Martha Wachsmann, Dietrich Weber, Gustav Weber, Roland Widmann, Helmuth Zink.

Alle werden sich, so lange sie sächsisch schreiben, an Hanni Markel und ihre Seminare erinnern, an die schöne Gemeinschaft und viele orthografische Beispiele, die vernetzt mit dem Leben tief in die Psyche der Sachsen blicken ließen. Diese Mundartseminare waren nicht nur Übungen im Rahmen Hannis verfasster und weit verbreiteter „Rechtschreibung siebenbürgisch-sächsischer Mundarttexte. Richtlinien und Praxis“, sondern auch lehrreiche und oft auch amüsante Ausflüge in die Volkskunde der Siebenbürger Sachsen und Sächsinnen. Danke auch dafür, liebe Hanni! Wir werden dich vermissen! Du wirst in unseren Herzen und Gedanken weiterleben!

Doris Hutter

„Sachsesch Wält“

Dem Wunsche vieler Leser folgend, reifte bei den Redakteuren der Siebenbürgischen Zeitung die Idee einer regelmäßig erscheinenden Mundartrubrik unter sachkundiger Betreuung heran. Am 15. November 2005 war es dann so weit: Zum ersten Mal ist sie damals mit der Überschrift "Sachsesch Wält" erschienen. Für die fachliche Betreuung konnte die Germanistin Hanni Markel gewonnen werden. Schon bei mehreren Mundartseminaren hatte sie in Rechtschreibfragen des Siebenbürgisch-Sächsischen hilfreiche Ratschläge geben können. Durch ihre Erzählforschungen hatte sie manche Ortsmundart kennengelernt und auf diese Weise auch sprachliches Wissen erworben. Mit der inhaltlichen Gestaltung der Rubrik, also der Einholung und Auswahl der Texte sowie deren erläuternden Kommentierung, wurde ich betraut. Es war der Beginn einer 17 Jahre währenden, wunderbaren und auch erfolgreichen Zusammenarbeit.

Erleichtert wurde diese Zusammenarbeit durch Hanni Markels korrekten Arbeitsstil und ihren respektvollen Umgang mit Entscheidungen ihres Arbeitskollegen. Von Anfang an hat sie auf strenger Trennung der Arbeitsfelder bestanden. Was nun nicht etwa bedeutete, dass jedes stur vor sich hin gearbeitet hätte. Im Gegenteil: Vor jedem Redaktionsschluss gab es einen lebhaften Austausch in Telefonaten und E-Mails. Es ging dabei jedoch nicht, wie man vermuten könnte, um gemeinsames Erarbeiten – man denke an die Trennung der Arbeitsfelder – , sondern um die gegenseitige Einschätzung des jeweils individuell Erarbeiteten, das Korrektiv, also das sprichwörtliche „wie kommt das (beim Leser) an?“. Konkret hieß das gegebenenfalls überlegen, ob bei einer ungewohnten Schreibweise das abschreckende Moment nicht der Hilfeleistung womöglich im Wege stehen könnte. Mir wiederum verhalf Hannis Kritik oftmals zu einer präziseren Fassung meines Textes. Erst wenn wir einvernehmlich der Meinung waren, dass uns ein besseres Ergebnis nicht gelingen würde, haben wir unsere Arbeit abgeliefert.

Das bekannte Logo der Rubrik "Sachsesch Wält" ist der rote Schriftzug über der blauen Erdkugel. Das eigentliche Markenzeichen aber war unscheinbar und befand sich am Ende der Beiträge: Es war die in all den Jahren unverändert gebliebene Unterschrift Hanni Markel und Bernddieter Schobel. Dieses "und" war nicht bloß aufzählendes Bindewort. Es war der Ausdruck einer in gegenseitiger Wertschätzung und auch daraus erwachsenen Freundschaft geleisteten Gemeinschaftsarbeit.

Unter der letzten Folge von "Sachsesch Wält" vom 13. März 2023 fehlt der erste Teil der Unterschrift. Hanni Markel lag bei der Erarbeitung des Beitrages schon im Krankenhaus. Künftig wird ihr Name immer fehlen. Was uns jedoch für immer bleibt, sind ihre Vorschläge zu einer besseren Verständlichkeit bei der Schreibung unseres Dialektes, wie diese im Buch „Sachsesch Wält. Mundart-Texte aus der Siebenbürgischen Zeitung“, München 2010, auf den Seiten 209-227 festgehalten sind. In dankbarem Andenken

Bernddieter Schobel

Beisetzung am 18. März 2023 in Nürnberg

Die Beisetzung von Hanni Anneliese Markel findet am 18. März 2023 um 13.00 Uhr auf dem Friedhof Nürnberg-Katzwang, Katzwanger Hauptstraße 20, in 90453 Nürnberg statt.

Schlagwörter: Kultur, Nachruf, Volkskunde, Mundart, Markel, Germanistin, Sachsesch Wält

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