22. Februar 2015

Rechtzeitig mahnen und eingreifen!

Nürnbergs Zweiter Bürgermeister Christian Vogel zitierte in seinem Grußwort beim Jahresempfang des Hauses der Heimat (HdH) am 27. Januar 2015 den Vorsitzenden des HdH, Horst Göbbel, der Tage davor im Nürnberger Rathaus anlässlich einer Gedenkstunde zu Völkermord, Flucht, Deportation und Vertreibung gesagt hatte: „Wir müssen rechtzeitig mahnen und eingreifen, wenn die Menschenrechte mit Füßen getreten werden!“
Angeregt durch die Einladung, auf der zu lesen war: „Der Abend ist allen ehrenamtlichen Mitarbeitern und Ehrengästen des Hauses der Heimat gewidmet“, hatte Christian Vogel vorher wiederholt betont, wie wichtig ehrenamtlicher Einsatz für die Gesellschaft sei, und herzlichen Dank dafür ausgesprochen.

Zu Beginn des Jahres 2015 blickte man im HdH unter dem Motto „1945-2015: Erinnern. Gedenken. Forschen“ 70 Jahre zurück und in die Gegenwart. SPD-Stadtrat Fabian Meissner brach in seinem Grußwort eine Lanze für die jungen Menschen von heute: „Ich finde es sehr schön, viele junge Menschen an meiner Seite zu wissen, die heute auch erinnern, gedenken, mahnen, teilnehmen und wachsam sein werden!“ Als er das HdH betrat, fiel ihm ein Freund ein, der aus Siebenbürgen als Säugling nach Nürnberg gekommen ist und für den es selbstverständlich sei, Nürnberger zu sein. CSU-Stadtrat Werner Henning, selbst Aussiedler, erwähnte die vielen Jugendlichen, die neben den Heimatvertriebenen das HdH mit Leben erfüllen, und Monika Krannich-Pöhler, Stadträtin der Grünen, hob die Bedeutung hervor, sich mit der Geschichte wie auch mit hoch aktuellen Themen zu beschäftigen und ernst zu nehmen, was uns die Geschichte lehrt.

Genau das war der Kern des Abends. Mit den Worten des ungarischen Auschwitz-Überlebenden und Literatur-Nobelpreisträgers von 2002 Imre Kertész aus dessen „Roman eines Schicksalslosen“: „Es ist gut, nach dem Sterben zu leben“ führte Horst Göbbel am Tag der 70. Wiederkehr der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee in den Gedenkabend im Haus der Heimat ein. Natürlich war Auschwitz als Menschheitsverbrechen an diesem Tag zentrales Thema, daneben jedoch auch die Geschehnisse vor und nach 1945 im Zusammenhang mit dem Leid von Deutschen: die Deportation der Deutschen aus Russland ab August 1941, die Zerstörung zahlreicher deutscher Städte im Bombenkrieg (ca. 500000 Tote), die Evakuierung von Deutschen (unter ihnen die Nordsiebenbürger Sachsen) im Herbst 1944, die Flucht von Millionen Deutschen beim Herannahen des Krieges im Osten, die Deportation von mehr als 110000 Deutschen aus Südosteuropa im Januar 1945 (etwa 15 % Verluste), die bedingungslose Kapitulation Deutschlands im Mai 1945, die Potsdamer Konferenz vom Sommer 1945 u.a. mit dem Beschluss der „ordnungsmäßigen Überführung deutscher Bevölkerungsteile“ aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn. Von Flucht und Vertreibung waren etwa 14 Millionen Deutsche betroffen, dabei kamen mehr als zwei Millionen um. Wesentlich bleibe, mahnte Göbbel, deutlich die historischen Zusammenhänge zu beleuchten: Flucht und Vertreibung, Deportation der Deutschen stehen im Kontext der nationalsozialistischen Expansions-, Vernichtungs- und Lebensraumpolitik und ihrer Folgen. Horst Göbbel zitierte Roman Herzog: „Ohne Erinnerung gibt es weder die Überwindung des Bösen noch Lehren für die Zukunft“ und machte deutlich, wie wichtig es ist, sich seiner Geschichte, auch deren schwärzesten Seiten zu stellen.

Der Vortrag gewann an Anschaulichkeit durch den Textvortrag von jungen Menschen aus der Enkelgeneration: Michael Goldes (jüdische Wurzeln in der Ukraine zum Thema Völkermord), Nicole Vetter (Russlanddeutsche zur Deportation nach Sibirien), Dagmar Seck (Siebenbürger Sächsin zur Deportation der Rumäniendeutschen in die UdSSR) und Gerald Deistler (Wurzeln im Egerland zur Vertreibung der Sudentendeutschen 1945). Die anwesenden Zeitzeugen der Siebenbürger Sachsen waren Gerda Schuster, die zunächst im Lager Frunse, nachher in einem sogenannten „Krepierlager“, später in Sibirien war und erst nach sechs Jahren heimkehrte, und Dagmar Geddert, geboren am 14. Juli im Lager Mostino (bei Stalino), mit ihrer Mutter nach Siebenbürgen zurückgeführt im November 1945.

Erinnern und Gedenken wurden musikalisch von Taisiya Yakovenya am Klavier umrahmt. Die Überleitung zum Ausblick „Forschen“ gestaltete die russlanddeutsche Gesangsgruppe des HdH unter der Leitung von Olga Philipp mit dem von ihr bearbeiteten Lied der Wolgadeutschen „1941“. Dr. Anton Bosch, Gründer und langjähriger Vorsitzender des Historischen Forschungsvereins der Deutschen aus Russland, der 1999 im HdH gegründet wurde und dort auch seinen Sitz hat, beschrieb danach, wie es dazu kam, dass in den letzten 15 Jahren in Deutschland allein in diesem Verein die Geschichte der Russlanddeutschen in 18 Büchern veröffentlicht und in 16 hochwertigen Wandbildkalendern gestaltet wurde. Er habe im HdH seine geistige Heimat gefunden, betonte Dr. Bosch. Zum Abschluss las er aus dem Gedicht „Das Völkchen aus Baden“ (Baden bei Odessa) von Rafael Hofrath, das die Verschleppung der Russlanddeutschen während des Zweiten Weltkrieges in den Warthegau, bis an die Saale und wieder zurück bis zum Ural, in den Bergbau im Altai und letztendlich die Rückkehr vieler nach Deutschland beschreibt. Es folgte ein von den Angestellten des HdH vorbereiteter Imbiss, bei dem die vielen Ehrenamtlichen und Ehrengäste des HdH ins Gespräch kamen.

Doris Hutter / Horst Göbbel

Schlagwörter: Haus der Heimat, Nürnberg

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