7. Dezember 2012

Tagung in Schäßburg: Frauen in der Geschichte Siebenbürgens

Der Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL) hat in diesem Jahr viel von sich reden gemacht. Außer seiner Jubiläumsfeier zum 50-jährigen Bestehen, die Anfang September mit einem Festakt in Heidelberg begangen und einer wissenschaftlichen Tagung in Gundelsheim fortgesetzt wurde, gab es weitere Tagungen der einzelnen Sektionen. Vom 2.-3. November fand eine bemerkenswerte Tagung der Sektion Rumänien des AKSL zum Thema „Frauen in Siebenbürgens Geschichte: Geschlechterperspektiven“ in Schäßburg statt. Die Idee kam von Dr. Gudrun-Liane Ittu, Soziologin und Kunsthistorikerin am Forschungsinstitut für Gesellschaftswissenschaften der Rumänischen Akademie in Hermannstadt.
Veranstalter der Tagung waren die Sektion Hermannstadt des AKSL, das Institut für Gesellschaftswissenschaften der Rumänischen Akademie Hermannstadt und das Historische Museum der Stadt Schäßburg. Gefördert wurde die Tagung vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS) und der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. Tagungsort war das Internat des Joseph-Haltrich-Lyzeums, wo ein großer und gut ausgestatteter Raum zur Verfügung stand.

Prof. Dr. Angelika Schaser aus Hamburg hielt den ...
Prof. Dr. Angelika Schaser aus Hamburg hielt den Grundsatz-Vortrag anlässlich der Tagung. Fotos: Dr. Ulrich A. Wien
Eröffnet wurde die Tagung mit einem Grundsatzvortrag von Prof. Dr. Angelika Schaser, die am Institut für neue Geschichte der Universität Hamburg tätig ist, wo sie sich mit Frauen- und Geschlechtergeschichte befasst. In ihrem Vortrag ging Professor Schaser auf die Ziele der Frauen- und Geschlechtergeschichte ein, sprach über deren geschichtliche Entwicklung und ihre Perspektiven und zeigte neue Perspektiven für die Geschichtsschreibung in Siebenbürgen auf.

Dr. Vasile Ciobanu vom Institut für Gesellschaftswissenschaften der Rumänischen Akademie der Wissenschaften in Hermannstadt widmete sich den siebenbürgischen Frauen von 1914-1920 und ging auf ihre Rolle während des Ersten Weltkrieges und der Zeit unmittelbar danach ein. Er erwähnte die Bevölkerungsbewegungen, die während des Krieges durch die Flucht von über 200 000 Personen aus Siebenbürgen stattfanden und größtenteils von den Frauen bewältigt werden mussten. Auch hob er hervor, dass die Frauen die Plätze ihrer Männer in der Wirtschaft einnehmen mussten und eine sehr rege Tätigkeit in Bereichen entfalteten, die davor fast ausschließlich im Wirkungsbereich von Männern lagen.

Ingrid Schiel (Potsdam), Doktorandin an der Universität Jena und Mitglied im Vorstand des AKSL, entwarf in ihrem Vortrag über „Siebenbürgisch-sächsische Frauen in der Zwischenkriegszeit“ ein umfassendes Bild der siebenbürgisch-sächsischen Frauenvereinigungen, die sich 1921 zum Freien Sächsischen Frauenbund zusammengeschlossen hatten. Ebenfalls 1921 nahm eine Delegation der 1919 gegründeten siebenbürgisch-sächsischen Gruppe des Frauenweltbundes an dessen Kongress in Genf teil und setzte damit ein Zeichen für die Förderung der internationalen Festigung der Frauenbewegung.
Blick in den Tagungsraum. ...
Blick in den Tagungsraum.
In den anschließenden Vorträgen zum Thema Literatur und Politik im 20. Jahrhundert präsentierten drei Germanistinnen der Universität Klausenburg ihre Forschungen zu Biographie und Werken einheimischer Autorinnen. Silvana Pop sprach über die bekannte Kinder- bzw. Jugendbuchautorin Karin Gündisch und ihre Beziehung zu Michelsberg, Beatrix Nicoriuc über Bettina Schullers „Spielplatz der Gedanken – Transsilvanien“. Dr. Réka Sánta-Jakabházi behandelte das Thema „Frauenlyrik in den Endsiebziger Jahren in Siebenbürgen“ und ging vergleichend auf die Lyrik von Anemone Latzina, Gizella Hervay und Ana Blandiana ein. Die Kulturwissenschaftlerin Friederike Mönninghoff aus Bremen sprach über „Siebenbürger Sächsinnen und die Revolution von 1989“. Dabei ging es um eine Analyse der Aussagen von 50 Frauen, die die rumänische Revolution erlebt haben.
Musikalischer Abend mit Ursula Philippi (Klavier) ...
Musikalischer Abend mit Ursula Philippi (Klavier) und Melinda Samson (Sopran).
Abgeschlossen wurde dieser erste Tag mit einem stimmungsvollen Kammermusik-Liederabend, der im Festsaal des Rathauses von Prof. Ursula Philippi (Klavier) und Melinda Samson (Sopran) dargeboten wurde. Werke der kaum bekannten siebenbürgischen Komponistinnen Berta Bock und Bertha v. Brukenthal sowie Liedkompositionen von Gheorghe Dima, Arthur Stubbe und J. L. Bella wurden zu Gehör gebracht.

Dr. Gudrun-Liane Ittu ...
Dr. Gudrun-Liane Ittu
Am zweiten Tag kam eine umfassende Palette unterschiedlicher Themen zur Sprache. Dr. Valer Rus berichtete über das Bild der Rumänin in ungarischen Schriften aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Bianca Micu sprach unter dem Titel „Was ich dir gestern schrieb, das schreibe ich auch heute“ über Briefe von Elena Mureșianu. Marinela Barna aus Kronstadt präsentierte einen Beitrag zum Bild der Frau in den Reklamen der rumänischen Zeitung „Gazeta Transilvaniei“ Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Dr. Gudrun-Liane Ittu stellte „Bildende Künstlerinnen Siebenbürgens und Rumäniens vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur politischen Wende von 1989“ vor und gewährte unter anderen Einblick in das Werk von Hermine Hufnagel, Trude Schullerus und Grete Csaki-Copony.

Dr. Erika Schneiders Vortrag hatte die Geschichte und Bedeutung der Schäßburger Lehrerinnenbildungsanstalt zum Thema. Sie ging auf die Gründungsschwierigkeiten, die bescheidenen Anfänge und die blühende Entwicklung der Anstalt ein, deren Absolventinnen mit ihrer fundierten Ausbildung viele Schülergenerationen prägten. Dr. Edit Szegedi (Klausenburg) erläuterte anhand einer konfessionsgeschichtlichen Analyse die Rolle der Frau im frühneuzeitlichen Siebenbürgen. Dr. Helmut Baier, langjähriger Leiter des Landeskirchlichen Archivs in Nürnberg und Präsident der Internationalen Kirchenarchivare, sprach über „Das Frauenbild Friedrich Teutschs“, des ehemaligen Schriftleiters des „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblattes“ und Bischofs der Evangelischen Landeskirche. Aus seinem Vortrag ließen sich auch die Schwierigkeiten der Entstehung der Frauenbewegung in Siebenbürgen ableiten.

Dr. Ulrich Wien während seines Vortrags. ...
Dr. Ulrich Wien während seines Vortrags.
Mit seinem Vortrag zu Schwesternschaften/Diakonissen in Siebenbürgen betrat Dr. Ulrich Wien ein Feld, das für Forschungen noch einen breiten Raum lässt. Er berichtete über die Tätigkeit der Diakonissen in der Evangelischen Landeskirche Siebenbürgens, die in der 1888 gegründeten Hermannstädter evangelischen Krankenpflegeanstalt wirkten und von den „Weimarer Schwestern“ (Sophienhaus Weimar), einer von Großherzogin Sophie gegründeten Anstalt, unterstützt wurden. Eine Filiale wurde am 26. April 1891 in Schäßburg gegründet. Diakonissenmutterhäuser gab es auch in Sarata, Bukarest und Kronstadt. Zum gleichen Themenfeld sprach Dr. Juliane Brandt vom IKGS in ihrem Vortrag „Diakonissenarbeit in Budapest, Klausenburg, Marosvásárhely/Tg. Mureș und Leutschau (Zips) im Vergleich”. Christof Baiersdorf (Düsseldorf) ging auf das Thema religiöser Toleranz ein und behandelte dieses aus dem Blickpunkt innerfamiliärer Religionsverschiedenheit, wobei er die Mentalität und das Schicksal der zum evangelischen Glauben übergetretenen Jüdin Renée Baiersdorf von Erdös in den Fokus rückte.

Den krönenden Abschluss der Tagung bildete der tief berührende, öffentliche Vortrag von Prof. Dr. Stefan Sienerth, Direktor des IKGS, über „Siebenbürgisch-sächsische Frauen im Visier der Securitate. Die Übersetzerin Hermine Pilder-Klein und weitere Fallbeispiele“.

Anlässlich der Tagung wurde die Wanderausstellung „50 Jahre AKSL“ gezeigt, die Einblicke in die breit gefächerte Tätigkeit des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde bot. Dr. Ulrich Wien, Vorsitzender des AKSL, bezeichnete die Schäßburger Veranstaltung als „Pionier-Tagung“, die gezeigt habe, dass das Thema bislang zu Unrecht vernachlässigt worden sei und sich als Forschungsthema und Forschungsansatz lohne. Damit sei gemeinsam ein erster Schritt vollzogen worden. Alle konnten feststellen, so Dr. Wien, „in welch teilweise unbekannte historiographische Regionen wir geführt und vorangestoßen worden sind“.

Erika Schneider, Rastatt

Schlagwörter: Tagung, Frauen, Siebenbürgen

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