16. Dezember 2016

Im WortWechsel: "Geht Politik ohne Geschichte?"

„Geht Politik ohne Geschichte?“ – Diese Frage stellte sich der Nürnberger Kulturbeirat zugewanderter Deutscher und lud am 13. November ein zu einem WortWechsel im historischen Hirsvogelsaal in Nürnberg mit Anneli Ute Gabanyi, Politikwissenschaftlerin aus Berlin, und Bernd Fabritius, Mitglied des Deutschen Bundestages, Präsident des Bundes der Vertriebenen (BdV), Verbandspräsident des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Jurist und CSU-Politiker aus München.
Diese Art Dialog – im WortWechsel – ist ein Novum und wurde 2016 vom Nürnberger Kulturbeirat zugewanderter Deutscher initiiert. Das Konzept ist einfach: Zwei Menschen treffen aufeinander und sprechen miteinander. Bei der Auswahl der Persönlichkeiten achtet man darauf, dass sie eine Gemeinsamkeit haben, die sie verbindet: bei Anneli Ute Gabany und Bernd ­Fabritius ist es, neben der Politik, der Geburtsort in Siebenbürgen bzw. Rumänien.

Das Thema des Gesprächs wurde vorgegeben: „Geht Politik ohne Geschichte? – Politische Kultur trifft Kulturpolitik“. Gitarrenmusik von Johann Sebastian Bach und Domenico Scarlatti, meisterhaft interpretiert von Johannes Künel, umrahmte die Veranstaltung. Nachdem Josef Balazs das Konzept und die Akteure vorgestellt hatte, stellte er die einleitende Frage – die Frage nach der Heimat, die provokant vom Schweizer Schriftsteller Max Frisch in seinem Tagebuch formuliert wurde: „Wie viel Heimat brauchen Sie?“ Gleich am Anfang betonte Bernd Fabritius, dass er ein „lockeres Gespräch ohne Krawatte“, ein Streitgespräch beabsichtige, denn „wir sind nicht gekommen, um nur zu reden, wie gut wir uns verstehen, sondern wir sollen auch die Unterschiede ... oder andere Herangehensweisen herausarbeiten“.

Es wurden daher unterschiedliche Meinungen über Heimat, Geschichte und Politik, ihre gegenseitige Beeinflussung geäußert. Folgende Themen haben sich herauskristallisiert: ob man aus der Geschichte lernen kann, der Einfluss der Sozialen Medien (Social Media) in der Meinungsbildung der heutigen Zeit, die Globalisierung und die Aufgaben der EU-Politik, der Populismus und seine Auswirkungen sowie die Renaissance der „Nationalismen“ in Europa.
WortWechsel im historischen Hirsvogelsaal in ...
WortWechsel im historischen Hirsvogelsaal in Nürnberg: ­Anneli Ute Gabany und Bernd Fabritius. Foto: Josef Balazs
Die eine lange Stunde war daher sehr kurzweilig, und Gitarrenklänge deuteten an, dass man auseinander gehen muss ... auseinander gehen nach einem mit Verve geführten WortWechsel ... und man trennte sich auf gleicher Augenhöhe als Freunde. Bei einem Glase Wein konnte das Publikum im Foyer des Hirsvogelsaales weiter „philosophieren“ und Worte wechseln. Ob man aus der Geschichte lernen kann? Ein Dichterwort besagt: „Die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler.“

Josef Balazs

Auszüge aus dem WortWechsel

Dr. Anneli Ute Gabanyi: Wir brauchen Heimat dringender als vieles andere. Ohne Verwurzeltsein in der Heimat, auch wenn wir nicht mehr dort leben, können wir uns weder in einen neuen kulturellen Raum einfügen, noch können wir uns als Individuen entwickeln.

Dr. Bernd Fabritius: Heimat ist für mich kein geographischer Ort, sondern der Ort, wo ich mich wohlfühle, wo ich mich nicht erklären muss, sondern wo ich einfach bin. Ich denke, dass jeder unglaublich viel Heimat braucht. Heimat ist die Wurzel, in die ich hineinkam, aus der ich wachsen kann. Und nun das eigentliche Thema unseres WortWechsels: „Geht Politik ohne Geschichte?“ Politik ist die Quelle der Geschichte. Aus der Politik entsteht Geschichte. Wir müssen in der Politik Entwicklungen antizipieren, vorwegnehmen, überlegen, was könnte sein. Im Idealfall wird aus einer erfolgreichen Politik Geschichte. Nicht erfolgreiche Politik wird nie in die Geschichte einziehen, sie wird verschwinden.
Dr. Anneli Ute Gabany und Dr. Bernd ­Fabritius ...
Dr. Anneli Ute Gabany und Dr. Bernd ­Fabritius MdB im Dialog. Foto: Josef Balazs
Gabanyi: Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass Geschichte etwas Gegebenes ist, dass Geschichte eine feste Größe ist, eine feste Interpretation von Fakten. Geschichte wird immer wieder neu interpretiert. Fakten aus der Geschichte werden neu ausgewählt, neu recherchiert und angesichts der politischen Verhältnisse instrumentalisiert, verwendet oder eben totgeschwiegen. […] Das Problem ist, dass Geschichte nicht mehr der Hintergrund und keineswegs ein einheitlicher Hintergrund ist, vor dem Politik stattfindet, auf die Politiker zurückgreifen können ... Die Menschen brauchen einen gewissen Halt in nationalen Werten, die nicht übertrieben, die nicht chauvinistisch sind, die aber eine gewisse Identifikation mit unserem Land, mit unserer Geschichte ermöglichen.

Fabritius: Geschichte ist keine fixe Wissenschaft, sie ist Interpretation ... Natürlich kann man in Deutschland alles sagen. Man muss aber nicht alles sagen wollen! ... wenn es sich nicht um Realität handelt, sondern, wenn von Social Media eine negative Scheinrealität aufgebaut wird. Das ist ein Problem, das wir lösen müssen, weil es eine Gefahr für unser demokratisches System darstellt. ... Was mir noch Sorgen macht, ist eine Renaissance der „Nationalismen“ in Europa. Politiker-Kollegen verwenden den Begriff von Renationalisierung. Das halte ich für falsch. Ich finde eine teilweise Rückkehr in Europa zum nationalen Staat – nach dem Motto: mehr Eigenständigkeit, mehr Nationalstaat im Kleinen, dafür mehr Europa im Großen – für richtig.

Gabanyi: Globalisierung wird sehr häufig (ausschließlich) mit der EU gleichgesetzt, was falsch ist. Globalisierung bedeutet, dass die Akteure in der Wirtschaft nicht mehr national sind; sie sind supranational, verflochten, das sind Riesenunternehmen, undurchsichtig, intransparent und niemandem mehr verantwortlich – auf der einen Seite. Andererseits bleiben die sozialen Verpflichtungen beim Nationalstaat. Der Nationalstaat kann das nicht schaffen. Und das führt zu einer Krise, die immer schlimmer wird.

Fabritius: Die EU ist gerade ein Gegenmodell zur Globalisierung. Die EU ist Einheit in einer Gruppe, die EU ist ein Zusammenschluss von Staaten; sie wollen gebündelt Interessen vertreten, um die einzelnen Staaten ein bisschen stärker zu machen.

Schlagwörter: Diskussion, Nürnberg, Politik, Bernd Fabritius, Gabanyi

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