26. Oktober 2024

Vom Czernowitzer Staatsanwalt zum Schäßburger Theaterautor: Constantin von Tuschinski zum 40. Todestag

Erinnern Sie sich noch an die Tuschinskis in Schäßburg? Besitzen Sie möglicherweise Briefe, Fotos oder andere Erinnerungsstücke an sie? Dann können Sie dabei helfen, ihr Andenken für die Zukunft zu bewahren. Historiker Alexander Tuschinski, ihr einziger Enkel, sammelt derzeit Anekdoten, Artefakte und Informationen für eine geplante Biographie.
Familie Tuschinski im Sommer 1974 in Schäßburg. ...
Familie Tuschinski im Sommer 1974 in Schäßburg. Von links nach rechts: Paul, Virginia und Constantin. Foto: Melita Tuschinski, koloriert von Alexander Tuschinski
Am 26. Oktober 2024 war der 40. Todestag eines Schäßburgers, an den sich viele ältere sicher noch erinnern: Dr. Constantin Tuschinski (rumänisch Tușinschi), der humorvolle Rechtsanwalt, Hobby-Theaterautor und zeitweise Aushilfslehrer an der Bergschule. In den 1970ern lebte er mit seiner Frau Virginia und drei Katzen „auf der Burg“ in der Schulgasse 7. Nach Virginias Tod zog 1981 sein Sohn Peter bei ihm ein. Doch wer verbarg sich hinter dem charmanten älteren Herrn, der gerne mit Menschen ins Gespräch kam?

Constantins deutschsprachige Einakter sind in Schäßburg sicher noch einigen präsent. 1969 hatten im Stadthaussaal erstmals drei unter Regie von Prof. Egon Machat Premiere. Doch nur wenige wissen, dass Constantin vor dem Zweiten Weltkrieg ein weitgereister Rechtswissenschaftler und hochdekorierter Staatsanwalt war. Sein damaliger Name, der im sozialistischen Rumänien keinesfalls verwendet werden durfte, lautete Constantin Erast Ritter von Tuschinski. Mit diesem österreichisch-ungarischen Adelstitel war Constantin bis in die 1940er Jahre als Sohn eines der prominentesten Czernowitzer bekannt. Doch nach 1947 musste Constantin dann vermeiden, sein Leben der Vorkriegszeit zu thematisieren.

Als Virginias und Constantins einziger Enkel und als Historiker ist es mir wichtig, die Erinnerungen an meine Großeltern zu bewahren. Letzten Monat konnte ich nach intensiver Recherche Constantins gesammelte, meist rumänischsprachige Werke von 1929-1942 in einem umfangreichen Band neu veröffentlichen. Er trägt, da die Werke thematisch auch international relevant sind, den englischen Titel „European Union, State Parties and Political Transformations“ (Europäische Union, Staatsparteien und politische Transformationsprozesse). Als nächstes plane ich die Herausgabe seiner deutschsprachigen Theaterstücke und einer ausführlichen Biographie. Hier hoffe ich auf Ihre Unterstützung: Virginia und Constantin starben einige Jahre, bevor ich auf die Welt kam, und viele ihrer Fotos, Briefe, Erinnerungsstücke und Manuskripte sind verschollen. Erinnern Sie sich noch an die Tuschinskis und/oder besitzen Sie Dinge, die mit ihnen zusammenhängen? Dann melden Sie sich bitte bei mir, am besten per E-Mail: info[ät]alexander-tuschinski.de. Ich bin Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Ihre Erinnerungen mit mir teilen.

Constantin von Tuschinski wurde am 6. November 1905 in Czernowitz geboren, damals Teil des Herzogtums Bukowina in Österreich-Ungarn. Seine Eltern Leontine und Demeter entstammten angesehenen Bukowinaer Familien mit rumänisch-österreichischen Wurzeln. Constantin war ihr zweites Kind, doch sein älteres Geschwister starb sehr jung, so dass er als Einzelkind aufwuchs. Constantin stand seinen Eltern nahe. Als Kind bekam er von ihnen den Spitznamen „Tica“, unter dem seine Freunde ihn bis ins hohe Alter kannten. Constantins Söhne Peter und Paul sollten ihn später „Tita“ nennen, eine Abwandlung dieses Spitznamens.

Constantins Vater Demeter war ab 1910 Erster Staatsanwalt in Czernowitz sowie seit 1894 Reserveoffizier. Die Familie führte ein Leben der habsburgischen gehobenen Gesellschaft, geprägt von Reisen, Bällen und kulturellen Veranstaltungen. Besonders in Wien verbrachten sie ab 1910 immer wieder Zeit, und schon als Kind entwickelte Constantin eine Faszination fürs Theater. Weil Czernowitz im ersten Weltkrieg mehrmals russisch besetzt war, hielten sich Constantin und seine Mutter 1914-18 durchgehend in Wien in der Höfergasse 5 auf. Bis ins hohe Alter erzählte Constantin gern Erinnerungen an jene Stadt, in der er damals aufwuchs und die ersten drei Klassen des Gymnasiums besuchte.
Familie Tuschinski/Tușinschi, 14. August ...
Familie Tuschinski/Tușinschi, 14. August 1950 (am Tag nach Pauls 5. Geburtstag), vermutlich in Kronstadt: Paul, Constantin, Peter, Virginia und Demeter (v.l.n.r.). Foto: Familienarchiv Tuschinski
1918 wurde Czernowitz rumänisch. Constantins Vater Demeter wurde ab 1919 erst Generalstaatsanwalt und später Oberlandesgerichtspräsident. Er war bei fast allen offiziellen Veranstaltungen zugegen traf prominente Vertreter der rumänischen Gesellschaft bis hin zum König. In der Presse wurde er als „eine der bekanntesten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in der Bukowina“ bezeichnet. Diese Atmosphäre prägte Constantin, wie auch die Toleranz, Höflichkeit und das charitative Engagement, für das seine Eltern bekannt waren.

Constantin studierte in Czernowitz Jura und promovierte 1929. Im selben Jahr heiratete er Virginia, geborene Hoinic, eine geistreiche Kunstgeschichts-Studentin, die ein paar Monate jünger war als er. Sie hatten sich einige Zeit davor auf einem Ball kennengelernt. Demeter hatte Constantin vor jener Veranstaltung einen Rat gegeben: Sollte Constantin mit einer Frau tanzen, die ihm dann doch nicht gefiele, wäre es höflich, danach noch etwas mit ihr zu sprechen, anstatt einfach zur nächsten zu gehen. Doch Virginia war die erste, die von Constantin zum Tanz aufgefordert wurde – und sie blieben ein Leben lang zusammen. Schon während seines Studiums reiste Constantin viel, und er verbrachte zwei Studienaufenthalte in Paris. Von ihren gemeinsamen Reisen durchs Vorkriegseuropa der 1920er/30er erzählten die Tuschinskis in Schäßburg noch bis ins hohe Alter mit Humor und Begeisterung.

Seine juristische Laufbahn begann Constantin in Czernowitz als Hilfsrichter und später Staatsanwalt. Rasch war er auf dem besten Weg, an die Karriere seines Vaters anzuknüpfen: Mit erst 34 Jahren war Constantin Anfang 1940 in Czernowitz bereits Erster Staatsanwalt, hatte 13 Bücher und Broschüren zu internationalen juristischen und historischen Themen geschrieben, war Redakteur der von seinem Vater herausgegebenen anerkannten Fachzeitschrift Pagini Juridice und wurde unter Carol II. 1938 mit dem Orden der Krone von Rumänien ausgezeichnet. Doch der Zweite Weltkrieg beendete diesen Abschnitt.

Als die Sowjetunion im Juni 1940 für die Bevölkerung völlig unerwartet die Nordbukowina inklusive Czernowitz annektierte, flohen Virginia und Constantin ins Landesinnere von Rumänien. 1941 kehrten sie in ihr verwüstetes Haus zurück. Doch als die sowjetische Front sich Anfang 1944 näherte, flohen sie endgültig mit zwei Koffern und einem kleinen Hund nach Siebenbürgen, wo sie sich mit einem bescheidenen Leben im aufkommenden Sozialismus arrangieren mussten. Fast ihr gesamter Besitz ging verloren. Virginia brach zu Beginn der Flucht etwas Putz von ihrem Czernowitzer Haus ab, den sie als Andenken in Schäßburg bis ins hohe Alter hütete. Leider verliert sich nach Constantins Tod die Spur dieses Souvenirs, und ich hoffe, dass es irgendwo noch existiert. Ebenso konnte die Familie ein großes Vorkriegs-Portätfoto Demeters retten, das bis in die 80er Jahre in ihrem Wohnzimmer hing und welches ich ebenso suche.

Die gemeinsamen Söhne – Paul (*1945) und Peter (*1947) – kamen in Schäßburg zur Welt und besuchten die Bergschule. Beide sind leider inzwischen verstorben. Zwar wurde Constantin 1945 noch Staatsanwalt in Siebenbürgen, jedoch verlor er diese Stellung wohl bereits Ende der 1940er und war danach als Anwalt in Schäßburg tätig. Constantins Mutter Leontine starb wahrscheinlich zwischen 1941 und 1950. Die Spur seines Vaters Demeter verliert sich in den 1950ern offenbar in Kronstadt/Brașov. Falls Sie Hinweise zu Leontines und Demeters letzten Lebensjahren haben, bin ich dafür ebenso dankbar.

Die schwierigen finanziellen Umstände, in denen die Familie nach dem Krieg durchgehend lebte, schlugen nicht auf ihre Stimmung. Es wurde bei den Tuschinskis viel gelacht, wie mir erzählt wurde, und sie waren bekannt für ihre offene, tolerante und humorvolle Art. Virginia und Constantin hatten viele Freunde in Schäßburg, und wenn sich die Möglichkeit ergab, besuchte Constantin den Sänger Carl Mechner in Bukarest, einen Freund aus Czernowitzer Tagen. Auch nach dem Krieg blieb Constantin seiner Leidenschaft für das Schreiben treu. Seine Theaterstücke, die er in den 1960er-80er Jahren als Hobby verfasste, wurden meist in der Zeitschrift Volk und Kultur veröffentlicht. Einige blieben unveröffentlicht und sind derzeit leider verschollen – vielleicht hat jemand noch Manuskripte oder Abschriften von Tuschinski-Stücken zu Hause? Jede Aufführung durch Laientheater machte Constantin großer Freude, wie er Wolfgang Wittstock für das Zeitungsporträt „Der Einakter als Hobby. Zu Besuch bei Constantin Tuschinski in Schäßburg“ in der Karpatenrundschau vom 7. September 1979 erzählte. Um die Veröffentlichung seiner Theaterstücke zu ermöglichen, baute Constantin besonders ab Mitte der 70er Jahre teils Elemente ein, die dem politischen Zeitgeist entsprachen – während er privat das damalige politische System kritisch sah. Als Virginia 1981 verstarb, kamen viele Bewohner Schäßburgs zu ihrem Begräbnis.

Und jetzt, zu Constantins 40. Todestag, hoffe ich, mit Ihrer Mithilfe die Geschichte meiner Großeltern bald mit vielen weiteren Details erzählen zu können.

Alexander Tuschinski

Schlagwörter: Porträt, Theater, Czernowitz, Schäßburg

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Neueste Kommentare

  • 26.10.2024, 10:35 Uhr von sibisax: Was für eine Familiengeschichte! Ich wünsche Ihnen das Sie alles finden was Sie suchen und der ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

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