13. Mai 2014

Literarischer Abend im ungarischen Generalkonsulat in München

Tamás Mydló, Generalkonsul von Ungarn in München, begrüßte als Hausherr am 7. Mai die zahlreich erschienenen Gäste zu einem literarischen Abend, der im Zeichen von Miklós Bánffy (1873-1950) stand. Gemeinsam mit dem ungarischen Generalkonsulat hatte das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e.V. an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS) zu einem Gespräch mit Lesung aus Bánffys Roman „Verschwundene Schätze“ eingeladen, dem zweiten Teil seiner „Siebenbürger Geschichte“. Die Bände dieser Trilogie erschienen in Ungarn erstmalig 1934, 1937 und 1940. Auf Deutsch liegt der erste Band, „Die Schrift in Flammen“, seit 2012 vor (siehe Besprechung in der SbZ Online vom 12. März 2013), der oben erwähnte zweite folgte im vergangenen Jahr. Die Übersetzung ins Deutsche besorgte der Historiker und Journalist Andreas Oplatka, der an diesem Abend neben dem Dozenten und Literatursprecher Helmut Becker zu Gast war. Durch den Abend führte Dr. Enikö Dácz, wissenschaftliche Mitarbeiterin des IKGS und Initiatorin der Veranstaltung.
Die „Siebenbürger Geschichte“ des ungarischen Schriftstellers und Politikers Miklós Bánffy ist ein bildgewaltiges gesellschaftspolitisches Epos, das im letzten Jahrzehnt vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs angesiedelt ist. Im Mittelpunkt steht Graf Bálint Abády, ein ungarischer Adliger und Parlamentsabgeordneter, dessen Figur, so erfuhr das Publikum im Gespräch zwischen Enikö Dácz und Andreas Oplatka, inspiriert worden sei durch den aus Siebenbürgen stammenden ungarischen Premierminister István Bethlen (1921-1931) und teilweise durch den Autor selbst, wovon dieser sich allerdings distanzierte. Übersetzungstechnik, Figurencharakterisierung und Rezeptionsgeschichte waren die vorherrschenden Themen des Gesprächs, das durch ausgesuchte Romanauszüge, vorgetragen von Helmut Becker, reizvoll durchbrochen wurde.
Literarischer Abend im ungarischen ...
Literarischer Abend im ungarischen Generalkonsulat, von links: Helmut Becker, Enikö Dácz, Andreas Oplatka. Foto: GR
Andreas Oplatka, Professor an der Andrássy Universität Budapest und langjähriger Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, begann während seiner Studienzeit mit literarischen Übersetzungen. Die „Herausforderung, einen schönen Text in eine fremde Sprache zu übertragen“ und das „Einfühlen in die Sprache, in die stimmungsschaffenden Mittel“ reize ihn an dieser Aufgabe, und so habe er den Auftrag des Wiener Zsolnay Verlags, Bánffys Trilogie dem deutschsprachigen Publikum nahezubringen, angenommen.

Die Romane wurden nach ihrem Erscheinen in Ungarn wohlwollend rezipiert und erlebten mehrere Auflagen, allerdings wurde die offene Kritik an der (vornehmlich adligen) Vorkriegsgesellschaft nicht verstanden oder gar nicht zur Kenntnis genommen. Nach Bánffys Tod 1950 geriet sein Werk in Vergessenheit, wurde gar „aus der Literatur gestrichen“, was seinem aristokratischen Hintergrund geschuldet war und sich erst nach 1990 änderte.

Als „Stärken des Romans“ bezeichnete Oplatka die Landschaftsschilderungen Siebenbürgens, die sowohl Bánffys Liebe zum Land, in dem ein Großteil der Trilogie spielt, als auch sein Verständnis von Malerei bezeugen. Zur Illustration dieser These las Helmut Becker, der an der Bayerischen Theaterakademie August Everding lehrt und regelmäßig im Literaturhaus München auftritt, folgenden Auszug: „(...) denn seine Aufmerksamkeit galt weiterhin der sich tief unter ihm ausbreitenden Wiese. Der strahlende Himmel und das Licht, das sich von allen Seiten widerspiegelte, lösten dort jeden Schatten auf, die Farben allein schieden die Gegenstände voneinander: Das neue Buchenlaub war glänzend grün, die jungen Tannen bläulich, das Gras spielte über morastige Stellen ins Tiefgrüne und auf den lehmbedeckten Steilhängen beinahe schon ins Gelbe; die Äste des einen oder anderen längst umgestürzten Baums zeichneten sich schneeweiß ab vor dem alles überziehenden Grün, als habe man in einem Ölbild die Farbe mit der Messerspitze herausgekratzt; und hauchdünn, golden stäubend bestreuten die hohen Ähren des Rispengrases auf den Kanten die reich bewachsene Wiese, dort, wo sich der Boden unter der Pflanzendecke unsichtbar krümmte.“ Dieses Textstück beweist nicht nur Bánffys literarische Qualitäten, sondern steht auch exemplarisch für die überaus gelungene Übersetzung Oplatkas, der sich zur Vorbereitung auf Duktus und Wortwahl Werke von Arthur Schnitzler vorgenommen hat, wie er erzählte.

Das interessierte und äußerst sachkundige Publikum hatte nach der Lesung die Gelegenheit Fragen zu stellen, was es im Veranstaltungsraum und beim anschließenden Empfang bei einem Glas ungarischen Wein ausgiebig tat. Der kommissarische Direktor des IKGS, Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch, war nicht zugegen, weil ihm an diesem Abend in Pécs (Fünfkirchen) die „Quinque Ecclesiae Medaille“ verliehen wurde. Sein Stellvertreter Dr. Florian Kührer-Wielach zog eine positive Bilanz der Veranstaltung, die er eingangs als „Gang durch den Garten Eden“ bezeichnet hatte, und kündigte an, weitere Abende dieser Art folgen zu lassen. Vielleicht im nächsten Jahr, wenn der dritte und letzte Band von Bánffys „Siebenbürger Geschichte“ auf Deutsch erscheinen soll?

Doris Roth


Miklós Bánffy, „Verschwundene Schätze“, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2013, 576 Seiten, 27,90 Euro, ISBN 978-3-552-05596-4.
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Schlagwörter: Roman, Siebenbürgen, Geschichte, Gesellschaft, Lesung

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Neueste Kommentare

  • 13.05.2014, 08:17 Uhr von bankban: Der lange Zeit vergessene Bánffy war auch ein guter (Real-)Politiker, der jedoch in den verrückten ... [weiter]

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