6. November 2016

Deportation und schöne Literatur

Ein schlichtes graues Bändchen, herausgegeben 2016 vom Haus der Heimat Nürnberg, gibt sich bescheiden als „Versuch einer Bestandaufnahme der Deportation der Rumäniendeutschen im Spiegel der schönen Literatur“. Der Autor Michael Markel – er war viele Jahre am germanistischen Lehrstuhl der Universität Klausenburg tätig – ist sich wohl bewusst, dass die Begriffe ­"Deportation" und "schön" ein Spannungsfeld erzeugen, das den Leser aufhorchen lässt. Der erfahrene Wissenschaftler und einzigartige Kenner der rumäniendeutschen Literatur weckt so das Interesse für ein Thema, das sowohl durch die historisch-soziologische Forschung als auch die Erinnerungsliteratur ausgeschöpft scheint.
Einleitend grenzt der Autor die Begriffe Vertreibung, Deportation und Zwangsumsiedlung gegeneinander ab, skizziert die Ereignisse, die in Rumänien zu diesen Phänomenen führten, um dann die Textsorte Erinnerungstexte von den fiktionalen zu unterscheiden. Erstere sind in der Wissenschaft schon vielfach erforscht worden – Markel nennt hier stellvertretend für viele andere Georg Weber und Renate Weber-Schlenther mit ihrem Team: „Literatur hat es nicht mit beglaubigten Fakten zu tun, sondern mit Wörtern, die ihre eigenen Fakten schaffen, aber Geschehenes auch aus großer zeitlicher Distanz nacherlebbar machen und in einem inneren Resonanzraum zum Klingen bringen“ (S. 11). Angeregt wurde Markel durch eine Rahmenveranstaltung zu einem Zeitzeugentreffen Deportierter 2009, es folgte eine Reihe von Vorträgen, in denen er auf den Fundus seiner eigenen Leseerfahrung zurückgreifen konnte. Auch wenn er daraufhin noch Anregungen von anderen bekam, ist die Liste der hier behandelten Autoren gewiss unvollständig.

Geordnet sind die untersuchten Texte chronologisch nach Erscheinungsdatum. Das beginnt mit dem „Christi-Geburt-Spiel“ von Georg Brenndörfer, 1947 im Lager aufgeführt, und endet mit Johann Lippets Heimatroman „Ami und Mari oder Nacherzähltes Leben“, erschienen 2015. Ein Sonderkapitel ist im Anschluss daran den Deportationstexten von Oskar Pastior gewidmet. So gelingt es, unterschiedliche Textsorten – Roman, Erzählung, Erzählgedicht, Drama, Laienspiel – zu erfassen dazu auch die Entstehungsgeschichte der einzelnen Werke, denn Entstehung und Veröffentlichung der Texte liegen oft weit auseinander, was häufig der Zensur geschuldet ist. Markel schickt den einzelnen Untersuchungen biographische Informationen zu den Autoren voraus; sie ermöglichen trotz aller Kürze deren historisch-politische wie auch literaturgeschichtliche Einordnung.

Dem Literaturwissenschaftler geht es aber vor allem um die Frage, wie diese Wortkunstwerke gestaltet sind. So gibt die Erzählperspektive die Sicht des Erlebenden im Lager, der Angehörigen zu Hause, der Heimgekehrten, der Nachkommen oder Unbeteiligter wieder. Die Motive gleichen sich, es sind die Lagermotive, wie Markel sie nennt: Abfahrt im engen Waggon, Versuche, sich zu entziehen, Demütigungen durch die Aufseher, Kälte, Hunger, Krankheit, Tod. Dabei kann Deportation Thema des gesamten Werkes sein oder nur am Rande stehen. Markel erfasst die große Spannweite dessen, was diese Texte zu der Frage nach Ursache und Schuld aussagen. Sie reicht von Michael Pfaff, der den Aufenthalt in der Sowjetunion dankbar als Gelegenheit auffasst, die sowjetische Heilslehre zu erfahren, über Rainer Biemel, der vor der Gefahr des sowjetischen Kommunismus warnt, bis zu Otto Folberth, der die Mitschuld der Deutschen hervorkehrt. Anders die Texte, die das Thema ausweiten als allgemein osteuropäisches Problem, als Anklage gegen die Beschädigung des Menschlichen durch jede Art von Totalitarismus.

Die künstlerisch wertvollsten Texte sind – wen wundert´s – die letzteren. Ihnen widmet sich Markel auch ausführlich, wenn auch die Wertung der anderen bei aufmerksamem Lesen durchaus erkennbar sind. Das Zusammenwirken von Oskar Pastior und Herta Müller schafft die unübertroffene künstlerische Gestaltung des Stoffes in der „Atemschaukel“, sie ließ die Fachwelt und nicht nur die aufhorchen. Der Nobelpreis hat dann für ein weltweites Interesse an diesem Stoff gesorgt. Ob es die Zeiten überdauert, ist offen; für die Rumäniendeutschen und deren Nachfahren wird der Stoff Deportation weiterhin lebendige Erfahrung bleiben. Und weil es um Bleibendes in der Kunst geht, ist es nur folgerichtig, dass Markel ein letztes ausführliches Kapitel den Deportationstexten von Oskar Pastior widmet. Hier erkannt man den feinsinnigen Germanisten, der in die Tiefenschichten eines noch so verschlüsselten Textes einzudringen vermag.

„Ein paar vorgreifliche Schlüsse“ zieht Markel am Ende seines Buches, sie systematisieren das, was im Verlauf seiner Darstellung über Erzähltechnik, Motivik, Entstehung und Veröffentlichung, über Verweise innerhalb der Texte, Bezüge zu der Verfolgung der Juden und der Zigeuner ausgesagt wird. Abgerundet wird das Ganze durch eine ausführliche Auflistung von Veröffentlichungen zur Deportation, wobei zwischen Erinnerungsbüchern, Belletristik, künstlerischen Gestaltungen und Forschungsliteratur unterschieden wird. Ein Verzeichnis der behandelten Texte und Autoren in der Reihenfolge ihrer Darstellung vermisst man an dieser Stelle, es würde die Orientierung des Lesers wesentlich erleichtern. Der kleine graue Band gibt sich bescheiden. Der Autor selbst hat die Metallskulptur von Helmut Droll auf dem „Weg der Besinnung“ am Heiligenhof in Bad Kissingen für die Titelseite ausgewählt. Im Gegenlicht erscheint die Christusfigur als Hoffnungsträger und gemahnt den Betrachter an das „Christi-Geburt-Spiel“ von Georg Brenndörfer, das im Lager 1947 aufgeführt wurde.

Das Buch von Markel liest sich leicht; die wissenschaftliche Kompetenz ist dabei spürbar, dem Nichtfachmann aber durchaus zuzumuten. Vielleicht ist das so, weil die Empathie mit den Opfern durchgängig zum Ausdruck kommt; sie bleiben Opfer unabhängig von politischen Verstrickungen einzelner Menschen oder Staaten. Doch lassen wir den Autor am Ende selbst zu Wort kommen: „Zu Ende erzählt sind die Geschichten von Krieg, Nachkrieg, Deportation und Entwurzelung der Südostdeutschen noch lange nicht. Will diese Geschichten jemand hören? ­Gewiss mancher, aber nur, wenn sie hörenswert erzählt werden. Wie die Atemschaukel von Herta Müller, deren Kunst die Fremdheit des Stoffes aufzehrt.“ (S. 75)

Brigitte Stamm




Markel, Michael: Die Deportation der Rumäniendeutschen im Spiegel der schönen Literatur. Versuch einer Bestandsaufnahme, Verlag Haus der Heimat, Nürnberg, 105 Seiten, ISBN 978-3-00-051962-8, zu bestellen zum Preis von 9,00 Euro, zuzüglich 1,50 Euro Versand, beim Haus der Heimat, Telefon: (09 11) 8002638, E-Mail: folkendt [ät] hausderheimat-nuernberg.de.

Schlagwörter: Markel, Buch, Besprechung, Deportation, Literatur, Russlanddeportation

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