Brandkatastrophe in Bistritz: Zerstörung und Wiederaufbau
Die evangelische Stadtpfarrkirche in Bistritz gilt als bedeutendstes Renaissance-Bauwerk Rumäniens. Teile des Kirchdachs und der 75 Meter hohe Kirchturm, das höchste kirchliche Bauwerk des Landes, sind am 11. Juni 2008 einem Feuer zum Opfer gefallen. Die Katastrophe erschüttert die weltweite Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen und stellt sie vor eine große Herausforderung. Viele kirchliche, staatliche und gemeinschaftliche Institutionen aus dem In- und Ausland haben ihre Solidarität bezeugt und teilweise schon Hilfe geleistet. Das bestärkt die Hoffnung, dass das Gotteshaus und der Turm, beide Wahrzeichen der Stadt Bistritz und des gesamten Nösnerlandes, in den nächsten Jahren wieder aufgebaut werden können.
„Ein furchtbarer Brand hat gestern Abend den Turm und einen Teil des Daches des Schiffes unserer Bistritzer Stadtpfarrkirche verzehrt. Ausgebrochen ist der Brand am 11. Juni um 19.40 Uhr an der Basis des Gerüstes, das den Turm umgab, und hat innerhalb kürzester Zeit das gesamte Gerüst und das Turminnere erfasst“, teilt der Bistritzer Stadtpfarrer Johann-Dieter Krauss wenige Stunden später der Siebenbürgischen Zeitung mit. „Der Turm ist völlig ausgebrannt, einschließlich das neu gedeckte Kupferdach, ebenso ein Teil des Daches des Kirchenschiffes. Eine gespenstische ausgebrannte Ruine des höchsten Turmes Siebenbürgens ragt in den nachtschwarzen Himmel, Rauchschwaden steigen auf ... ein Bild des Grauens ... Gottes Gnade ist es, dass kein Menschenleben zu Schaden gekommen ist.“
Der höchste Kirchturm Siebenbürgens und Teile des Dachstuhls der Stadtpfarrkirche in Bistritz sind am 11. Juni in Flammen aufgegangen. Foto: Mesagerul de Bistrița-Năsăud
Dr. Hans Georg Franchy, Vorsitzender der HOG Bistritz-Nösen, verfolgt das Geschehen im rumänischen Fernsehen von zu Hause aus in Drabenderhöhe. Es treibt ihm die Tränen in die Augen: „Das Holzgerüst um den Kirchturm brennt lichterloh, stürzt in sich zusammen, der ganze Turm ist ein Flammenmeer, aus dem Inneren des Turms schlagen die Flammen in den Himmel. Ein Türmchen kippt und fällt brennend herunter, das Turmdach neigt sich, dreht sich in sich und stürzt ab. Zum Glück nicht auf das Kirchendach, sondern in Richtung Kornmarkt.“
Der Brand kann nach dreieinhalb Stunden von der Bistritzer Feuerwehr gelöscht werden. Ihr kommen Einheiten aus den benachbarten Verwaltungskreisen Klausenburg und Mieresch sowie freiwillige Feuerwehrleute aus Prundu Bârgăului und Șanț zu Hilfe. Insgesamt 12 Feuer- wehrautos werden eingesetzt. Es ist der Beherztheit und dem Mut der Feuerwehrleute zu verdanken, dass das Feuer auf dem brennenden Dachstuhl in seine Grenzen verwiesen und der Brand gelöscht wird. Der Turm und ein Drittel des Kirchdachs sind ausgebrannt, aber keine anderen Gebäude werden betroffen.
Bestandsaufnahme und erste Sicherungsmaßnahmen
Freitag, den 13. Juni, um 11 Uhr: Vor dem Stadtpfarrhaus der evangelischen Kirchengemeinde erwartet Stadtpfarrer Hans-Dieter Krauss mit Pfarrer Johann Zey und Kurator Roland Karoli die von Bischof D. Dr. Christoph Klein geleitete Delegation, der Hauptanwalt Friedrich Gunesch, Bezirksdechant Hans-Bruno Fröhlich und Dechantstellvertreter Zoran Kézdi angehören. Wie die Hermannstädter Zeitung berichtet, wirkt Stadtpfarrer Krauss gefasst und lädt zu einer Andacht in den Gemeinderaum ein. Der Kurator klagt: „Wir können jetzt nicht einmal mehr die Glocken für unsere Toten läuten.“ Krauss erzählt, dass der römisch-katholische Stadtpfarrer noch während des Brandes angeboten habe, die Glocken seiner Kirche für die Evangelischen läuten zu lassen, bis diese neue Glocken in ihren Kirchturm hängen können.
Die evangelische Kirchengemeinde in Bistritz führt bald darauf erste Sicherungsmaßnahmen durch, um das beschädigte Kirchdach abzudecken. Das Dach war erst kürzlich aus Spenden der HOG Bistritz-Nösen repariert worden. Die Stadt stellt einen weiträumigen Metallzaun um die Baustelle auf, die nun rund um die Uhr von der Polizei überwacht wird.
Vermutliche Brandstifter gefasst
Am 20. Juni präsentiert die Polizei die Täter: Drei 12- bis 15-jährige Roma-Kinder sollen aus Übermut eine Plastikfolie am Fuße des Gerüstes und Kleiderreste von Obdachlosen angezündet haben, so der Polizeichef des Kreises Bistritz-Nassod, Ioan Sidor Bodescu. Die Minderjährigen seien über das Gerüst in den Turmbereich gestiegen, um Metallreste (Kupfer und Blei) zu suchen und später zu verkaufen. An der Gerüstbasis hätten sie die Schlafstelle eines Obdachlosen entdeckt und spielerisch mit einem Feuerzeug eine Folie angezündet. Das Feuer hätten sie versucht mit einer Decke zu löschen, jedoch ohne Erfolg. Als sie eine Frau in der Uniform der städtischen Polizei sahen, seien sie weggerannt und das Feuer sei ohne Kontrolle zurückgeblieben. Die Kinder waren schon öfter auf dem Turm und auf der ungesicherten Baustelle.
Ausmaß der Zerstörung und Aufräumarbeiten
Über das Ausmaß der Zerstörung und Aufräumarbeiten berichtet Dr. Hans-Georg Franchy, Vorsitzender der Heimatortsgemeinschaft Bistritz-Nösen, der seit dem 18. Juni in Bistritz weilt: „Der Turm ist völlig ausgebrannt. Das Uhrwerk ist zerstört, die Glocken aus den Jahren 1857 und 1555 sind abgestürzt und in der Feuersbrunst geschmolzen. Selbst kleine Erzteile sind nicht mehr vorhanden. Lediglich Klüppel und Gegengewicht aus Stahl sind übriggeblieben. Zurzeit wird Brandschutt vom Gewölbe über dem Turmmuseum von Hand entfernt. Bis Ende Juni sollen die Aufräumarbeiten beendet sein. Mitglieder der Gebirgswacht haben über Seile absturzgefährdete Brandreste vom Turm entfernt. Arbeiter tragen Dachziegeln von dem brandgeschädigten Kirchendach ab. Sobald der Brandschutt und der abgebrannte Teil des Dachstuhls vom Kirchendachboden (vom Gewölbe) entfernt sein werden, wird das Gewölbe mit Folie und einem Kunstharz gegen Regenwasser überdacht.“
Fachleute schätzen den Schaden zunächst auf eine Million Euro. Nach ihrer Auffassung verursacht der anhaltende Regen keinen größeren Schaden. Das Löschwasser und der Regen haben im Inneren der Kirche deutliche Spuren hinterlassen, ohne jedoch die Bausubstanz zu gefährden. Die Orgel ist noch nicht geschädigt worden, ist aber gefährdet, wenn nichts passiert. Für die anstehenden Aufgaben hat das Kirchenpresbyterium in Bistritz eine gut dotierte Verwalterstelle ausgeschrieben.
Hilfsbereitschaft und Solidarität
Für die evangelische Kirchengemeinde, die weniger als 300 Mitglieder zählt, ist es ein tiefer Schock. „Der Schmerz über das Geschehene will uns das Herz zerreißen“, stellt Pfarrer Johann Dieter Krauss im Sonntagsgottesdienst am 15. Juni in Bistritz fest. „Gott hat uns Schweres zugemutet. Er hat uns gezüchtigt. Aber er lässt uns auch nach der Nacht des Grauens die Sonne wieder aufgehen, so wie über unserem geschundenen Kirchturm am Donnerstag die Sonne wieder aufging. Darauf dürfen wir vertrauen, daran dürfen wir uns klammern.“
Auch ein Zeichen der Solidarität: Tuschezeichnung des britischen Künstlers Michael Sandle, auf Anregung des siebenbürgisch-sächsischen Bildhauers Peter Jacobi entstanden.Eine große Welle der Solidarität, die durch das grausame Geschehen aufgebrochen ist, erreicht die Bistritzer Kirchengemeinde schon seit den Stunden des Brandes. Es gehen E-Mails aus Deutschland, Kanada, den USA, Österreich und Australien ein, alle Kirchenbezirke meldeten sich. Die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien hat alle Kirchengemeinden, Bezirke und Einrichtungen zu Kollekten und Spenden aufgerufen.
„Ich kann Sie der Solidarität im Denken und Tun des gesamten Bundesvorstandes unseres Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, aber auch aller Landsleute unserer grenzüberschreitenden Gemeinschaft, in Deutschland, in Österreich, in Kanada und den USA, versichern“, schreibt Dr. Bernd Fabritius, Bundesvorsitzender des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland und Vorsitzender der Föderation der Siebenbürger Sachsen, an Stadtpfarrer Johann-Dieter Krauss. Angesichts dieses „schrecklichen Geschehens, welches unsere Gemeinschaft stark berührt und in aller Entschlossenheit fordert“, wurden erste Schritte der effektiven Hilfeleistung eingeleitet.
Eilantrag des Kulturrats an den Bundesbeauftragten für Kultur und Medien
Der Bundes- und Föderationsvorsitzende hat mit Bischof D. Dr. Christoph Klein und Stadtpfarrer Krauss telefoniert, die ihre Freude darüber zum Ausdruck gebracht haben, dass der Siebenbürgisch-Sächsische Kulturrat – in Absprache mit unserem Verband – einen Eilantrag an den Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gestellt hat. In diesem Schreiben heißt es: „Das Feuer brach am frühen Abend des 11. Juni an dem um den Turm angelegten Holzgerüst aus, erfasste den Turm vollständig und Teile des westlichen Dachstuhls. Der große Renaissance-Giebel der Westfassade droht angesichts des Wegfalls des stützenden Dachstuhls sowie der Beeinträchtigung durch Löschwasser einzustürzen und muss umgehend gesichert werden. Des Weiteren muss das Kircheninnere, zumal die Gewölbe und die bedeutende Orgel, der Altar, die wertvollen Gestühle wie auch die Kanzel vor der Witterung durch eine Plane gesichert werden, da das Dach teilweise durch den Brand zerstört wurde. Schließlich muss eine provisorische Abdeckung des Turmes erfolgen.“
In Absprache mit Bischof D. Dr. Christoph Klein ist Dr. Bernd Fabritius mit dem Patriarchen der rumänisch-orthodoxen Kirche in Bukarest zusammengekommen. Seine Heiligkeit Daniel spricht einen allgemeinen Solidaritätsappell für die betroffene Kirche aus und will sich beim rumänischen Kultusministerium für eine entsprechende Förderung einsetzen.
Rumänische Regierung steht in der Pflicht
Zuversichtlich ist auch der neue Bürgermeister Ovidiu Crețu, (PSD), der am 15. Juni, wenige Tage nach der Brandkatastrophe, die Stichwahlen gegen den bisherigen Bürgermeister Vasile Moldovan (PD-L) gewonnen hat. Er ist sicher, dass die rumänische Regierung Gelder für die Kirchenrenovierung bewilligen wird. Bei den „Mittelalterlichen Tagen“ am letzten Wochenende in Bistritz, organisiert von Florin Săsărman und dem Deutschen Forum in Bistritz, wurde durch Spenden Solidarität bewiesen und sehr viel getan, um das Bewusstsein für die Kirchenrenovierung in allen Bevölkerungsschichten zu wecken.
"Meilenstein in der Geschichte der Stadt"
Es gibt beeindruckende Solidaritätsbekundungen, angefangen von einem Sozialhilfeempfängerring, der sein monatliches Einkommen bereitstellt, bis zur Nürnberger Firma „Leoni“, die vor Ort 15 000 Euro gespendet hat.
Die HOG Bistritz-Nösen will bei den allerersten Notmaßnahmen helfen und die verbrannte Turmuhr durch eine neue ersetzen: „Wir wollen uns gegen das schnelle Vergessen und für das Projekt Wiederaufbau einsetzen. 2013, beim 450-jährigen Jubiläum der 1563 fertiggestellten Kirche, sollen der Wiederaufbau und die Renovierung der Kirche Wirklichkeit sein.“ (siehe Aufruf in der Siebenbürgischen Zeitung Online).
Dr. Hans Georg Franchy bezeichnet den Brand vom 11. Juni als „Meilenstein in der Geschichte der Stadt“. „Die Solidarität, die von Bürgern und Behörden gezeigt wird, stimmt uns zuversichtlich. Das Motto der Predigt am Palmsonntag, ‚Ihr seid nicht allein’, ist wahr geworden und lässt uns hoffen. Anfang Juli wird der Wiederaufbau beginnen.“
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