26. Februar 2019

Kommentar zur Fremdrente: Höchste Zeit, sozialen Ausgleich zu schaffen

Am 1. Januar 2019 ist das neue Rentenpaket der schwarz-roten Koalition in Kraft getreten. Es soll, so lautete die Zielvorgabe, unser Rentensystem stabilisieren und Altersarmut bekämpfen. Am 1. März dieses Jahres wird die Mütterrente angehoben. Und der Gesetzesentwurf für die Grundrente könnte womöglich noch heuer ins Bundeskabinett eingebracht werden. Bei alledem außen vor geblieben sind die seit den 1990er Jahren rentenrechtlich benachteiligten Aussiedler und Spätaussiedler. Nach dem Votum des Bundesrates vom 15. Februar ist nun die Bundesregierung am Zug, Rentengerechtigkeit wiederherzustellen. Schließt sich 2020 endlich die seit einem Vierteljahrhundert klaffende Gerechtigkeitslücke?
In der aktuellen sozialpolitischen Debatte kursieren wohlklingende Begriffe wie „Respekt-Rente“, wird die „Anerkennung der Lebensleistung“ gefordert, es gelte schließlich, die - längst im öffentlichen Raum sichtbar gewordene - Altersarmut wirksam einzudämmen. Wohl wahr, hier herrscht bittere Notwendigkeit; und gerade weil die Zeit so drängt, ist von Placebo-Maßnahmen strikt abzusehen.

Derzeit liegt das Armutsrisiko bei den 65-Jährigen und Älteren bei 15,6 Prozent, das sind rund 2,6 Millionen Rentner. Etwa eine halbe Million Rentner sind auf die Grundsicherung angewiesen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Expertenprognosen zufolge wird die Anzahl der armutsgefährdeten Senioren weiter zunehmen. Unter den Betroffenen ist die Personengruppe der Aussiedler und Spätaussiedler. Sie waren in den vergangenen Jahrzehnten erheblichen Widrigkeiten ausgesetzt, mussten auf ihrem entbehrungsreichen Weg ihr Kriegsfolgeschicksal bezwingen lernen, sich als deutsche Minderheit im sozialistischen Rumänien unter Diktator Ceaușescu behaupten, dann den Heimatverlust meistern. Inzwischen in unserer Bundesrepublik erfolgreich integriert, engagieren sie sich in allen gesellschaftlichen Bereichen und leisten unbestritten einen wertvollen Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Nicht zuletzt profitiert insbesondere die gesetzliche Rentenkasse von den Beitragszahlungen der Spätaussiedler respektive ihrer leistungsstarken Nachwuchsgeneration - ein hochkarätiges Faktum angesichts des demografischen Wandels.

Die Mitte der 1990er Jahre erfolgten massiven Rentenkürzungen waren mit dem Hinweis auf das unterschiedliche Rentenniveau zwischen Ost und West verknüpft. Dieses Argument ist freilich hinfällig geworden. Laut Angabe des Bundesarbeitsministeriums liegt der aktuelle Rentenwert (Ost) bei 95,8 Prozent des Westwerts, die Angleichung der „Ost-Renten“ soll 2024 abgeschlossen sein. Diesen Sachverhalt hat der Bundesaussiedlerbeauftragte Dr. Bernd Fabritius zurecht wiederholt und mit Nachdruck öffentlich geltend gemacht. Ebenso tat und tut dies der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, zuletzt auch im Rahmen einer gemeinsamen landsmannschaftsübergreifenden Resolution mit den Banater Schwaben und den Deutschen aus Russland. Wir dürfen hier keinen Deut nachlassen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern in diesem Moment versprochener Respekterweisung eben diese materielle Achtungsgeste nicht verweigert. Eine nochmalige Schlechterstellung dieser verstärkt von Altersarmut heimgesuchten Personengruppe würde unwillkürlich allgemeine Frustration auslösen. Schon haben die Rechtspopulisten signalisiert, dieses berechtigte Anliegen der Spätaussiedler zu unterstützen. Sie wollen sich „kümmern“. Ihr Kalkül ist klar. Das politische Berlin ist jetzt aufgerufen, zügig für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, und das möglichst in parteiübergreifendem Konsens. Gleichzeitig sollten Landsleute den Botschaften der Populisten mit großer Skepsis begegnen, da diese, im Fahrwasser eines autoritären Nationalismus, einen radikalen Systemwechsel anstreben. Über den Tag hinausblickend lohnt es sich aber festzuhalten an unserer liberalen Demokratie, an unserer offenen Gesellschaft in einer wertebasierten, solidarischen europäischen Gemeinschaft.

Christian Schoger


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